Das Mundsekret der Tabakschwärmerraupe (hinten) löst bei Tabakpflanzen ein SOS-Duftsignal aus. Das wiederum lockt Raubwanzen (rechts) an, die sogleich die Raupen vertilgen.

Foto: Matthey Film

Jena/Washington - Pflanzen können vor ihren Feinden nicht davonlaufen. Deshalb haben sie im Laufe der Evolution ziemlich raffinierte Verteidigungsstrategien entwickelt. So produzieren manche von ihnen Giftstoffe, die ihren Fraßfeinden den Appetit verderben. Sie können aber auch um Hilfe rufen - wenn schon nicht akustisch, so mittels Gerüchen.

Einen dieser Düfte kennt jeder, nämlich den Duft nach frisch geschnittenem Gras: Es handelt sich dabei um sogenannte "green leaf volatiles", flüchtige Verbindungen, die aus grünen Blättern nach Verwundung abgegeben werden. Solche Molekülverbindungen werden von Schlupfwespen oder Raubwanzen wahrgenommen, die dann zur attackierten Pflanze fliegen und den Schädling fressen.

Wie aber kann eine Pflanze erkennen, dass es sich um einen Schädling handelt? Silke Allmann und Ian Baldwin vom Max-Planck-Institut für chemische Ökologie haben nun in Freilandstudien an Tabakpflanzen eine erstaunliche Antwort gefunden: Tabakschwärmerraupen geben über ihre Verdauungssekrete im Mund eine besondere Substanz ab, die einen in den Tabakblättern vorhandenen Duftstoff prompt in ein duftendes Locksignal umwandelt.

Mit diesem als (E)-2-Hexenal bezeichnetem Signal locken die Raupen demnach ungewollt ihre eigenen Feinde an: insektenfressende Raubwanzen. Diese attackieren nicht nur die frisch geschlüpften Raupenbabys, sondern vertilgen die vom Muttertier abgelegten Eier, wie die Forscher in Science (online) berichten.

Bleibt noch die Frage, warum das Mundsekret der Tabakschwärmerraupen eine Substanz enthält, die ihnen letztlich zum tödlichen Verhängnis wird? Die Doktorandin Allmann und ihr Chef Baldwin vermuten, dass die Bildung von (E)-2-Hexenal die Raupen vielleicht vor anderen Angreifern schützen kann, beispielsweise vor bakteriellen Infektionen: (E)-2-Hexenal ist nämlich als ein stark antibiotisches Mittel bekannt.

Damit ergäbe sich eine existenzielle Gratwanderung für die Raupen: Einerseits laufen sie durch die Abgabe von (E)-2-Hexenal Gefahr, von Wanzen attackiert zu werden, andererseits aber garantiert das Mundsekret eine gesunde Nahrung, die nicht durch Bakterien verseucht ist.

Der Gewinner ist in jedem Fall die Raubwanze, weil sie unbeschadet und satt aus dem Rennen hervorgeht - dank ihrer sensiblen Antennen, mit denen sie das (E)-2-Hexenal schon in kleinsten Mengen riechen kann. (Klaus Taschwer, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27. August 2010)