"Max Müller (Mitte) und seine Band Mutter aus Berlin verweigern sich seit knapp einem Vierteljahrhundert gängigen musikalischen Kompromissen: "Bin ich der Einzige, der genauso denkt wie ich?"

Foto: Mutter

Wien - "Idioten zu erklären, dass sie welche sind / kann man nicht und tut es doch, weil sie welche sind." Aus dem Song Tag der Idioten von Mutter.

Max Müller ist der beste Songtexter deutscher Zunge. Blöderweise weiß das keiner. Und das geht so: Max Müller war vor ungefähr 79 Jahren einmal als Sänger der Berliner Band Die Ärzte engagiert. Weil er zu faul war, bei den Proben zu erscheinen, übernahm deren Gitarrist Farin Urlaub diesen Job. Auch der weitere Weg des zwischen bildender Kunst, Film, Literatur und Musik gemütlich herumwerkelnden Künstlers, der auch einmal kurz bei Die Tödliche Doris mitmachte, der legendären Künstlerband seines Bruders Wolfgang Müller, war von großer Gelassenheit geprägt.

Die frühen Alben seiner seit nunmehr 24 Jahren bestehenden Band Mutter, etwa Ich schäme mich Gedanken zu haben die andere Menschen in ihrer Würde verletzen (1989) oder eine die deutsche Wiedervereinigung thematisierende Arbeit namens Du bist nicht mein Bruder zählen dennoch zum Radikalsten, das die deutschsprachige Rockmusik jemals hervorgebracht hat.

Zu seither zumindest live bei seltenen Konzerten konstant im schleppenden Tempo und Zweiakkordbereich mahlenden Lärmgitarren und wuchtigem Kraft- lackelschlagzeug quäkt Max Müller vollkommen emotionslos mit nach wie vor kindlicher Stimme das Lob auf die fehlende Distanz zwischen Dichtkunst und eigener Befindlichkeit. Auch wenn es seltsam klingen mag, Textzeilen wie diese sind vollkommen unironisch gemeint: "Warum hat man nicht die Größe, einmal wirklich klein zu sein. Nicht die Krönung, nur das eigene Mittelmaß. Alles kann, gar nichts muss." Das Lied nennt sich Wohlstandspsychiatrie und findet sich auf Trinken Singen Schießen, dem im Eigenverlag erschienenen ersten Mutter-Album seit der empfehlenswerten Werkschau Das ganze Spektrum des Nichts von 2005. Diese erschien damals parallel zu einer mittlerweile auf DVD erhältlichen Kinodokumentation über Mutter mit dem Titel Wir waren niemals hier.

Tagebuch und Klischee

Auf Trinken Singen Schießen wird der Hörer nun Zeuge, wie Max Müller seinem realpoetischen Tagebuchansatz treu bleibt. Man hört sich an gängigen Klischees reibende Sätze wie "Ich möchte alles sein, bloß nicht wie die anderen." Oder: "Bin ich der Einzige, der so denkt wie ich?" Und auch die Musik klingt teilweise so nahe am deutschen Schlager gebaut, wie es das betonhart-stoische Rhythmusfundament von Mutter gerade noch zulässt - und zuletzt in diesem songschreiberischen Drang zum Qualitätshandwerk höchstens auf Hauptsache Musik zu hören war, dem bis dato zugänglichsten Werk des Quintetts, das aus dem Jahr 1994 stammt.

Zumindest beim Finanzierungsmodell geht man neue Wege. Wie es sich für Totalverweigerer von Geld, Ruhm und Karriere gehört, haben sich Mutter mit Trinken Singen Schießen, einer Paraphrase auf die alten deutschen Anarchorocker Ton Steine Scherben, so wie ihre Vorbilder von der Musikindustrie verabschiedet.

Mutter finanzierten das Album über private Schuldverschreibungen. 99 von Müller gefertigte Kaltnadelradierungen auf Büttenpapier für jeweils 100 Euro brachten das Geld - und die Sponsoren werden namentlich auf dem Cover der CD oder des Vinyl-Doppelalbums genannt.

Es gilt, eine Band zu entdecken, die am Ende mit einer großen Wahrheit punktet: "Die Alten hassen die Jungen, bis die Jungen die Alten sind. (Christian Schachinger, DER STANDARD - Printausgabe, 31. August 2010)