5000 Menschen auf 60 Stiegenhäusern: Da ist Streit manchmal programmiert.

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Frau Eigner schiebt ein Einkaufswagerl voller Vorurteile vor sich her.

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Elisabeth Dürr wartet "seit 30 Jahren auf den neuen Parkettboden".

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Manches sei planerisch daneben gegangen, sagt SPÖ-Politikerin Votava. Aber: Sozialeinrichtungen und Bewohner würden sich sehr bemühen.

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Sozialarbeiterin Schnee kämpft mit ihrem Team "in Millimeterarbeit" für ein Miteinander von alten und neuen Mietern.

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"Ballspielen verboten" - zumindest, wenn jemand sich aufregt.

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Mehr als die Hälfte aller Bewohner im Schöpfwerk hat heute Migrationshintergrund.

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Die Harmonie kann schon beim Mülltrennen enden.

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Wien - "Das Schöpfwerk als Anlage wär' ja wunderschön", sagt ein Bewohner. Ein anderer erzählt: "Als ich vor 30 Jahren eingezogen bin, gab's noch einen Zusammenhalt. Da hab ich jeden auf der Stiege gekannt." Man ahnt es schon: Gleich folgt das große "Aber heute ..."

Dann wird über trampelnde Kinderbeine um elf Uhr nachts geschimpft, über Jugendliche, die mit dem Fußball Fensterscheiben kaputtschießen und über Nachbarn, die den Müll aus dem Fenster werfen.

Manche fühlen sich ungerecht behandelt

Soweit die Klischees. In der Gemeindebau-Anlage Am Schöpfwerk im Bezirk Meidling stößt man schnell auf sie. Da schiebt Catharina Eigner ihr Einkaufswagerl aus der Schlecker-Filiale und schimpft, dass "die Moslems alle Schaukeln besetzen", wenn sie mit ihren Enkerln auf den Spielplatz gehe. Auch Elisabeth Dürr fühlt sich im Schöpfwerk zu kurz gekommen. "Ich warte seit 30 Jahren auf einen neuen Parkettboden", sagt sie. Andere würden schneller einen kriegen.

Bewohner mit Wut im Bauch sind zwar schnell gefunden. Manche verkehren mit ihren Nachbarn auch nur mehr schriftlich oder beschweren sich über "die Ausländer". Doch wo sich ein Schatten auftut, übersieht man allzu gerne jene im Licht.

Probleme werden "ethnisiert"

"Eine Ethnisierung von sachlichen Problemen" beobachtet die engagierte Sozialarbeiterin Renate Schnee. Sie leitet das Stadtteilzentrum "Bassena" im Schöpfwerk, das seit 1982, praktisch mit dem Einzug der ersten Mieter, bemüht ist, soziale Spannungen zu lindern und streitende Nachbarn an einen Tisch zu bringen. Ob Lärmbelästigung oder Devastierungen, früher seien es "die anderen" gewesen, heute "die Ausländer". Mehr als die Hälfte der Bewohner habe Migrationshintergrund. "Wenn Menschen so dicht neben-, auf- und untereinander wohnen, gibt es eben immer wieder Probleme", sagt Schnee zu derStandard.at.

1700 Wohnungen für 5000 Menschen, 60 Stiegenhäuser und nur 12 Hausbesorger: Das sind die Kennzahlen, aus denen sich im Schöpfwerk auch Konflikte ergeben. Im 12. Bezirk, nahe der Südosttangente, erhebt sich das einstige Prestigeprojekt. Für den gigantischen Bau wäre "Grätzel" ein zu liebes Wort. Es ist ein eigener Stadtteil auf 17 Hektar Fläche, den die Wiener SPÖ hier in den 70er Jahren errichten ließ.

Die Vision des Architekten ...

Würde man den einstigen Prestigebau heute wieder so errichten? "Das glaube ich nicht", sagt Gabriele Votava, SPÖ-Bezirksvorsteherin von Meidling, "weil sich die Zeiten ein bisschen geändert haben." Die Stadtplaner wollten damals an den sozialen Wohnbau der 30er Jahre anknüpfen: ein Kindergarten, je eine Volks- und Hauptschule, eine Pfarre und großzügige Parks. Die Bewohner sollten hier gar nicht wegmüssen.

Votava, damals SPÖ-Nachwuchspolitikerin, sei von der Idee fasziniert gewesen, 15 Jahre wohnte sie auch selbst im Schöpfwerk. "Man muss auch innerhalb des Schöpfwerks differenzieren, aber manche Teile sind ein bisschen zu groß geworden", glaubt Votava. "Wenn 97 Wohnungen an einer Stiege sind, kommen sehr viele Leute zusammen." Dabei sei der Bau sei einst mit hehren Absichten errichtet worden.

... wurde nie ganz Wirklichkeit

"Kein üblicher Null-acht-fünfzehn-Gemeindebau", sollte das Schöpfwerk sein, schrieb der mittlerweile verstorbene Schöpfwerk-Architekt Viktor Hufnagl vor fünf Jahren, sondern "eine Kleinstadt, auch wenn das den maßgeblichen Stellen nicht immer bewusst ist". Zugute halten kann man ihm noch heute, dass er sich kritischen Bewohnern immer stellte und dass er - seiner Zeit voraus - ein autofreies Wohngebiet plante, eine Fußgängerstadt mit mehr als 3000 Metern Arkadengängen.

Doch die Vision einer reibungslos funktionierenden Kleinstadt erfüllte sich nie. Hinzu kam, dass Medienberichte meist ein düsteres Bild vom Leben im Schöpfwerk zeichneten. Es wurden einfach zu viele Geschichten über zerbrochene Fensterscheiben geschrieben. Manche Bewohner im Schöpfwerk erinnern sich noch daran, wie Jugendliche aus der Siedlung in den 80er Jahren keinen Job bekamen, wenn sie sagten, dass sie im Schöpfwerk wohnen. "Die Berichterstattung war oft haarsträubend. Wenn Jugendliche etwas devastierten, waren sie immer vom Schöpfwerk, auch wenn das gar nicht gestimmt hat", sagt Votava.

Junge Familien mit Migrationshintergrund

Derzeit prägen Baucontainer und Mischmaschinen das Bild des Stadtteils, und Gerüste zieren seine weiß-grauen Wände. In den Supermärkten im Wohnbau stehen Bauarbeiter in blauen Hosen Schlange. Seit dem Vorjahr werden die 1700 Wohnungen schrittweise saniert. Drei Jahre soll das insgesamt dauern. Doch die Einstellungen der Bewohner lassen sich oft nicht so leicht renovieren.

Vor 30 Jahren zogen vor allem junge Familien in die geräumigen Wohnungen des Schöpfwerks. Jeder dritte der Alteingesessenen lebt heute noch dort, doch ihre Kinder sind ausgezogen und sie selbst oft schon in Pension. "Sie sind jetzt mehr zuhause und sehen und hören natürlich mehr", nennt Schnee die ganz banalen Ursachen für Nachbarschaftsstreitereien. Paul Dickinger, Leiter des Jugendzentrums im Schöpfwerk, begründet das genauso: "Die Bewohner wechseln heute sehr stark. Manche wohnten bis dahin 30 Jahre neben denselben Nachbarn. Dann kommt eine neue Familie mit einem neuen Rhythmus." Die Probleme, meint Dickinger, seien - ob mit oder ohne Migrationshintergrund - dieselben geblieben. Wenn viele Leute, meist aus schwierigen sozialen Verhältnissen, auf so engem Raum wohnen, gebe es eben welche.

Bewohner ringen um respektvolles Miteinander

"In Millimeterarbeit", sagt Schnee, kämpfe man "unter Einbeziehung aller Beteiligten" um ein bereicherndes Zusammenleben. Manche Mietervertreter veranstalten Stiegenfeste, es gibt ein eigenes Radio und Konzerte. Jüngst wurden je 80 Kilo Mehl und Zucker zusammengetragen für einen "Nachbarschaftskuchen". Oder die Bewohner malten Grußformeln in verschiedenen Muttersprachen auf über 300 Gruß-Transparente, für die Aktion "Salam & Servus".

Das Schöpfwerk sei eine "Kleinstadt, die sozusagen aus dem Boden gestampft wurde", erklärt Schnee. "Die 5000 Leute, die damals in zwei Jahren herzogen, haben sich nicht gekannt. Andere Dörfer und Städte haben Jahrhunderte Zeit, bis diese Strukturen wachsen."

Wenn in drei Jahren die letzten Gerüste von den Fassaden abgebaut werden, wird wohl manche soziale Baustelle bleiben. Manche werden weiterhin die Haushaltsgeräte des Nachbarn durch die Wand hören und sich über kreischende Kinder ärgern. Jugendzentrum-Leiter Dickinger: "Wenn jede Familie hier ein Einfamilienhaus mit 700 Quadratmeter Garten und einer Hecke drumherum hätte, würde man einander eben nicht hören." (Lukas Kapeller/derStandard.at, 22.9.2010)