Wilhelm Zwirner: "Wann, wenn nicht jetzt, soll die Transaktionssteuer kommen?"

Foto: Attac

Der neue Attac-Geschäftsführer Wilhelm Zwirner war bis 2006 noch Bankberater. Im Gespräch mit Martin Putschögl erzählt er, warum ihn ein Aufenthalt in Peru grundlegend verändert hat, warum die Banken-Abgabe zu kurz greift und wie die Vorbereitungen für die "Demokratische Bank" laufen.

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derStandard.at: Die EU-Finanzminister beraten heute über die Finanztransaktionssteuer. Was erwarten Sie von der Diskussion?

Wilhelm Zwirner: Es gibt einige Länder, die für die EU-weite Einführung sind - neben Österreich etwa auch Deutschland, Frankreich oder Belgien. Einige Länder sind dagegen, vordergründig Großbritannien. Für uns ist klar: Wann, wenn nicht jetzt, soll die Transaktionssteuer kommen? Sie wird Stabilität auf den Finanzmärkten bringen, sie wird Einkommen bringen, für die Entwicklungszusammenarbeit und fürs Budget. Ihre Zeit ist definitiv gekommen.

derStandard.at: Zu Ihrem persönlichen Hintergrund: In einem anderen Interview haben sie kürzlich gesagt, Ihr "Wandel" vom Finanz- und Unternehmensberater hin zum Attac-Aktivisten sei auf einer Auslandsreise nach Peru passiert. Was haben Sie da genau erlebt? Peru ist ja weit weg - es müsste Sie, provokant formuliert, nicht kümmern, was dort abläuft.

Zwirner: In Peru habe ich sehr genau "live" miterlebt, wie sich das derzeitige globale Wirtschaftssystem konkret in einem Land auswirkt. Es kommt zu einer ganz massiven Spaltung zwischen Arm und Reich. Die Mehrheit der Bevölkerung lebt in sehr großer Armut, die wirtschaftlichen und politischen Eliten aber in enormem Reichtum. Die schirmen sich mit Zäunen und privaten Securities von den Armen ab, es kommt zu einer Trennung, einer ganz starken Klassenbildung, einer Teilung der Menschen. Ein normales Zusammenleben wird dadurch verunmöglicht. Die einen können nicht einmal ihre natürlichsten Bedürfnisse erfüllen - etwa punkto Bildung, Ernährung, Wohnung -, und die anderen leben im überschwänglichen Übermaß.

Dieser Eindruck hat sich im Lauf der Zeit einfach Schritt für Schritt verfestigt. Das Wirtschaftssystem orientiert sich nicht mehr an den Bedürfnissen der Menschen, die Umwelt wird zerstört, und dort wie auch hier bei uns werden die demokratischen Mitgestaltungsmöglichkeiten immer mehr beschnitten. Ich habe dort sehr stark reflektiert, inwiefern ich selbst und wir alle dazu beitragen, dass es global zu diesen großen Unterschieden kommt.

derStandard.at: Sie waren bis 2006 Unternehmensberater, vor allem für die Banken-Branche. Was sagen Ihre ehemaligen Kollegen, wenn Sie jetzt für die Bankenabgabe eintreten?

Zwirner: Die Bankenabgabe ist natürlich grundsätzlich einmal eine sinnvolle Einrichtung. Sie greift aber zu kurz. Es könnte nämlich in den Chefetagen der Banken der falsche Eindruck entstehen, dass sie da in eine Versicherung einzahlen, mit der sie für zukünftige Krisen vorgesorgt haben - und somit ihr grundsätzliches Tun und Handeln nicht überdenken müssen, ja vielleicht sogar mit gutem Gewissen weitermachen wie bisher. Nach dem Motto: "Wir zahlen in den Vorsorgefonds ein und sind damit aus dem Schneider." Aber wenn sie das grundsätzliche System, die Dynamik, die diese Blasen hervorruft, nicht überdenken und nicht verändern, wird uns das über kurz oder lang in die nächste Krise stürzen.

Zu den Reaktionen von ehemaligen Kollegen und Mitarbeitern: Die waren äußerst positiv. Weil jeder, der in dem System drinnen ist, irgendwo spürt, dass es in eine falsche Richtung geht; die nicht zukunftsfähig ist, und die sukzessive Umwelt und soziales Zusammenleben untergräbt. Ich hatte auch das Gefühl, meine einstigen Kollegen halten es für sehr mutig, diesen Schritt zu tun, und freuen sich, dass ich jetzt hier meine Fähigkeiten und Erfahrungen einbringe, um zivilgesellschaftlich aktiv zu sein.

derStandard.at: Schließen Sie eine spätere Rückkehr ins Bankwesen aus?

Zwirner: Unter den gegebenen Bedingungen, so wie das Finanzsystem derzeit funktioniert, mit seiner Logik aus Konkurrenz- und Gewinnstreben: definitiv. Aber es gibt auch andere Projekte, die am Laufen sind und von Attac begrüßt werden, wie die Gründung einer "Demokratischen Bank". Da soll eine System-Alternative etabliert werden, die ein Zukunftsmodell für ein anderes Bankensystem sein kann.

derStandard.at: Gutes Stichwort: Wie laufen die Vorbereitungen bei der so genannten "Guten Bank"?

Zwirner: Sehr gut. Wir haben überaus positives Feedback bekommen, viele Leute wollen mitmachen. Auch solche, die selbst 30 oder 40 Jahre im Bankwesen tätig waren. Da denken sich sehr viele, dass die Entwicklung, die die Branche in den letzten zwanzig Jahren gemacht hat - der spekulative, profitmaximierende Zugang -, keine gute war.

derStandard.at: Gibt's schon Einzahlungen?

Zwirner: Es gibt Spenden für den Aufbau und auch schon Zusagen für die Zurverfügungstellung des Gründungskapitals. Der Start ist für 2012 geplant.

derStandard.at: Und die beabsichtigte Ausweitung der "Guten Bank" hin zu einer Filiale in jeder österreichischen Gemeinde - ist dieses Ziel noch aufrecht? Das klingt ein bisschen sehr hoch gesteckt.

Zwirner: Am Ende soll sich jedenfalls ein grundsätzlich demokratisches Bankwesen etablieren. Als Startprojekt, und um zu zeigen, dass es möglich ist, ist erst einmal die Gründung dieser "Demokratischen Bank" geplant. Es soll gezeigt werden, dass es eine Alternative zu dem gibt, was heute passiert: Die großen Finanzinstitute und Banken wollen weder den Markt, noch die Demokratie. "Weder den Markt" heißt, dass sie einerseits mit Steuergeldern gerettet werden müssen und andererseits grundlegende Prinzipien der Marktwirtschaft außer Kraft gesetzt werden, wenn eine Bank nicht in Konkurs gehen kann. Und sie wollen auch die Demokratie nicht, weil sie eine sinnvolle Regulierung - also Auflagen dafür, dass sie mit Steuergeldern gerettet werden - sehr gut zu verhindern wissen.

derStandard.at: Ihr Ziel als neuer Attac-Geschäftsführer ist es, "noch mehr Menschen dazu zu bringen, aktiv zu werden". Wie wollen Sie das schaffen?

Zwirner: Einerseits durch die Arbeit, die hier bei Attac in Österreich schon seit zehn Jahren passiert. Die anhand einer kompetenten Analyse aufzeigt, wie die Situation derzeit ist, und auch konkrete Alternativen entwickelt. Und ich möchte einfach an die Hoffnung und die Zuversicht der Leute appellieren: Dieser Wandel ist möglich, wir haben es selbst in der Hand. Seid mutig, engagiert euch, setzt euch selbst dafür ein, was euch wichtig ist. Mit der Vielfalt der Leute und ihrer Kreativität werden wir etwas Tolles Schaffen. Da bin ich überzeugt davon. (derStandard.at, 7.9.2010)