Das Grazer Caritas-Heim am Tag nach dem Anschlag, auf dem Asphalt noch die Markierungen der Spurensicherung. Die Flüchtlinge seien "völlig überrascht und schockiert", sagt die Heimleiterin.

Foto: Standard/J.J. Kucek

Graz - Es ist mitten in der Nacht, und alle 36 Bewohner des Flüchtlingsheims im Grazer Bezirk Puntigam befinden sich bereits in ihren Zimmern. Die jüngste von ihnen, ein Mädchen aus Nigeria, das kürzlich mit ihrer Mutter dem Vater im Zuge einer Familienzusammenführung nach Graz folgte, hat sei einer Stunde und 40 Minuten Geburtstag: Es ist der 11. September, und sie wird heute 15. Plötzlich reißt ein "mörderischer Knall", wie die Heimleiterin Sabina Dzalto es im Standard-Gespräch beschreibt, alle aus dem Schlaf. Glas splittert an der Eingangstür, die offen war, Holzstückchen fliegen ins und einige Meter ums Haus durch die Luft.

Ein 61-jähriger Mann aus Georgien, ein Dialysepatient, der auf eine Niere wartet, springt in Panik auf. Er stürzt und muss ins Krankenhaus gebracht werden - zum Glück bleibt er der einzige Verletzte des Anschlags. Doch der Sprengsatz hätte "auch lebensgefährliche Verletzungen anrichten hätte können", erklärt Alexander Gaisch, der Chef des Landesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung. Die Analyse des Sprengstoffes wird noch Tage dauern, bis dahin ermittle man "in viele Richtungen".

Der Sprengkörper, der ein "dosen- oder rohrartiger Gegenstand" - aber keine Rohrbombe - gewesen sein dürfte, wird dabei mit "Parallelen auf anderen Tatorten" verglichen. "Nur durch einen Glücksfall" könne man sich innerhalb von 48 Stunden neue Erkenntnisse erwarten, so Gaisch, "aber wir haben genug Resourcen, daran wird es nicht liegen."

"Kein Lausbubenstreich" 

Einen politischen Hintergrund will man bei der Polizei derzeit weder annehmen, noch ausschließen. "Es ist alles offen", so Gaisch, "nur ein Lausbubenstreich ist ein Anschlag mit so einer Sprengkraft für mich auf jeden Fall nicht."

Das Heim in der Mitterstraße hatte im Vorfeld seiner Eröffnung 2006 - der Standard berichtete - für Aufruhr in der Nachbarschaft gesorgt. Organisiert wurde der "Bürgerprotest" damals unter anderem von einem Bezirksrat, der von der FPÖ zum BZÖ wechselte. Nach der Eröffnung wurde es aber leise um das Heim. Durch eine "vertrauensbildende Maßnahme", erzählt Heimleiterin Dzalto, "bei denen Heimbewohner Nachbarschaftshilfe bei Anrainern angeboten haben, ist man sich nähergekommen". Umso mehr sei man nun "völlig überrascht und schockiert worden". Über mögliche Täter will auch die Heimleiterin nicht spekulieren. Sie lobt dafür "den sehr sensiblen Umgang der Polizisten bei den Befragungen der Bewohner".

Diese sind im Fall des Heims Mitterstraße nicht nur oft von Krieg und Flucht traumatisiert, sondern haben auch sonst "erhöhten Betreuungsbedarf". Darauf hat sich das Heim mit seinen Einzelzimmern spezialisiert. Hier wohnen etwa Diabetiker, Schlaganfallpatienten und Herzkranke.

Die Landespolitik reagiert auf den Anschlag bis Sonntag zögernd. Vizebürgermeisterin Lisa Rücker (Grüne) und der Grünen-Spitzenkandidat für die Landtagswahl, Werner Kogler, warfen Gerhard Kurzmanns FPÖ vor, unter anderem mit "Internetspielen Hass zu schüren". Gerald Grosz, BZÖ-Einzelkämpfer für die Landtagswahl, verurteilte den Anschlag ebenfalls.

Auch KPÖ-Spitzenkandidatin Claudia Klimt-Weithaler meldete sich am Sonntag zu Wort: Es sei traurig, "dass es politische Kräfte gibt, die Gewalt verharmlosen oder verherrlichen", so die KP-Frau, die dann ebenfalls FPÖ-Chef Gerhard Kurzmann beim Namen nannte. (Colette M. Schmidt, DER STANDARD-Printausgabe, 13.9.2010)