Familientreffen bei Schützenhöfers

Foto: Kucek

Sind nicht Künstler in bestimmten Gegenden des Landes immer Fremde, egal woher sie kommen?

Foto: Kucek

Ich wünsche mir von diesem reichen Land, großzügiger zu sein, sich auch für Bettler Zeit zu nehmen.

Foto: Kucek

Standard: Wir sitzen unter dem Gemälde "Liberator" Ihres Großcousins, das den amerikanischen Flieger Harry Moore zeigt, der 1944 im oststeirischen Pöllau abgeschossen wurde. Warum haben Sie gerade dieses Bild gekauft?

Hermann Schützenhöfer: Weil Josef mir die Geschichte erzählt hat und ich der Meinung war, dass gerade dieser Teil der Geschichte nicht ausgespart werden darf. Josef bringt manche Dinge überkritisch auf den Punkt, aber das braucht man vielleicht manchmal, um sich damit auseinander zusetzen. Ich habe mir auch Kritik aus den eigenen Reihen anhören müssen, dass man eine solche Ausstellung in der Burg überhaupt macht - und wäre der Josef ein Verbündeter meiner ÖVP-Wählerschaft, hätte man mir vorgeworfen, ich subventioniere da jemanden. Aber ich konnte sehr rasch nachweisen, dass er uns vermutlich noch nie gewählt hat. (lacht)

Josef Schützenhöfer: ... und euch auch nie wählen wird. Ich war damals auch positiv überrascht, dass du ausgerechnet diesen Liberator, einen Helden für mich, gewählt hast. Noch dazu mit meiner Auflage, dass Geld locker gemacht wird für einen von den Fliegern, der noch lebt. Moore hat ja nicht überlebt, aber jemand aus dem selben Flugzeug. Ihn hier offiziell zu würdigen, war mein Wunsch.

Hermann: Ja, den haben wir rüber gebracht, davon gibt es Fotos!

Josef: Ich bin aber auch bei der SPÖ in dieser Sache vorstellig. Diese Geschichte geht alle an.

Standard: Wie ist Ihr verwandtschaftliches Verhältnis?

Hermann: Sein Vater war mein Cousin, den ich sehr geschätzt habe. Er ist schon lange tot. Mit dem, was Josef macht, hab ich mich erst anfreunden können, als ich gesehen habe, dass er sogar dazu bereit ist, seine materielle Existenz aufs Spiel zu setzen, wenn er seine Inhalte vermitteln will. Wer tut das schon? Er ist auch ein - nachdem wir ja verwandt sind, kann ich das sagen - grandioser Dickschädel.

Standard: Gibt es das in Ihrer Familie öfter?

Hermann: Manchmal bin ich das auch. Aber das, was mir bei ihm so imponiert hat, war, dass er, der für Steyr Daimler Puch und später Magna viel gemalt hat, und dabei auch verdient hat, dann mit einem Bild einen derartigen Widerspruch erzielt hat, dass alles vorbei war.

Josef: Das war dieses große Bild mit der Kritik an Frank Stronach. Ab da hatte ich dort Hausverbot.

Hermann: Möglicherweise wählt deswegen der Stronach jetzt den Voves, das hab ich davon.

Standard: Von Ihnen hängen aber auch Gemälde von Semperit-Arbeitern im SPÖ-Landtagsklub, und die KPÖ, für die Sie ein Wahlplakat entwarfen, stellte Ihre Arbeiten im Bildungsverein der Partei aus.

Josef: Ja, zur Ausstellung bei der KPÖ gibt es auch einen sehr schönen Katalog, aber ich hab mich nicht getraut, den hier her mitzubringen.

Standard: Die ÖVP plakatiert überall den Begriff Heimat. Was ist das für Sie?

Hermann: Heimat ist für mich Familie, dort wo ich die Wurzeln habe. In einer Zeit der Globalisierung ist es wichtig, dass die Menschen Identität haben. Das Land, in dem man lebt, das ist für mich Heimat.

Josef: Ich sehe das anders, mein Heimatbegriff hat damit zu tun, dass wir ab 1945 wieder als Individuen denken lernen konnten, dass gewisse Importe auch mit dieser Befreiung 1945 gekommen sind, nämlich in der Literatur und in der Kunst, im freien Denken. Dort sehe ich meine Heimat. Ich komme gerade aus Waycross in Georgia, dort sitzt ein 89-jähriger Kollege von Moore, den ich besucht habe. Ich habe mich entschuldigt, dass wir 66 Jahre zu spät dran sind, um eine Ehrenbezeugung einzubringen. Da hat er gemeint: "Keine Sorgen, wir sind eine geduldige Truppe."

Standard: Sie haben lange in den USA eine Heimat gefunden, bevor Sie 1997 wieder zurückkamen.

Josef: Meine Heimat ist am Horizont. Ich sitze gerne am Wasser und fließe hin zum Meer. Wo der Horizont weit ist, dort ist meine Heimat. Das heißt Literatur, Waycross oder Pöllau, wo ich nun lebe.

Standard: Wieso haben Sie Ihre erste Heimat mit 18 verlassen?

Josef: Ich hatte allerhand Auseinandersetzungen hier, einen schlechten Bildungsweg, war sehr unvernünftig und unruhig. Und der Druck, den ich von diesem latenten Faschismus gespürt habe, hat mich sehr gekränkt.

Hermann: Du warst doch in dieser Modeschule in Wien und warst ziemlich aufmüpfig - bei den Demonstranten dabei.

Josef: Ja, ich hab eine schlechte Erfahrung gemacht, mit der Polizei zum Beispiel.

Standard: Haben Sie damals mitverfolgt, wie es Josef da ging?

Hermann: Schon, weil die Eltern natürlich besorgt waren. Der Josef ist ja in der Familie, wie soll ich das sagen, ein völlig anderes Exemplar von Mensch. Sein Vater war wie meiner ein Arbeiter. Josef schlägt aus der Art. Aber das hat wahrscheinlich mit deinen Erfahrungen in Wien zu tun und mit deinem Weggang. Sonntag für Sonntag haben wir uns in der Kirche getroffen und die Sorge um den Sepp war groß. Heute ist seine Mutter sehr stolz auf ihn.

Josef: Naja, völlig anders, ich weiß nicht. Ich war oft beim Onkel Luis.

Hermann: Der Luis, das ist sein Großonkel und mein Onkel.

Josef: Ich hab ihn beobachtet wie er um sechs Uhr früh unterm Radio gesessen ist und mit sehr wachsamen, schlanken, schönen Gesicht hingehört hat auf die Politik - noch bevor er die Schweine füttern gegangen ist. Und er hat immer was gehabt für einen Bettler. Wir haben hier diese Situation mit den Bettlern. Ich glaube, wenn ich mich selbstsicher fühle in meiner Politik, brauche ich vor ihnen überhaupt keine Angst zu haben, sondern kann großzügig sein. Ich wünsche mir von diesem reichen Land, großzügiger zu sein und sich auch Zeit zu nehmen. Ich habe jetzt einen Bettler, einen tschechischen Roma, für ein Caritas-Projekt porträtiert. Da lernt man die Geschichte dahinter und es ist leichter, etwas herzugeben.

Standard: Die ÖVP ist für ein Bettelverbot.

Hermann: Ich bin für ein generelles Bettelverbot. Armen zu helfen, ist Menschenpflicht, aber man sollte schauen, dass man vor Ort etwas tut, wie Pfarrer Pucher in der Slowakei. Ich geb in Graz auch immer was, aber ich denke mir, die bessere Zukunft haben diese Menschen, wenn sie sich in ihren Ländern gut entwickeln können. Außerdem gibt es so eine Art Schlepperorganisation, die diese Leute ausnutzt.

Standard: Ein Staatsanwalt, der dazu einige Monate in Graz ermittelte, konnte das nicht feststellen.

Hermann: Ich habe das selbst beobachtet. Die werden hergebracht und abends abtransportiert.

Standard: Josef Schützenhöfer, Ihr Liberator-Projekt findet eine Fortsetzung mit jungen Studenten von amerikanischen Kunst-Unis. Warum bringen Sie die nach Österreich?

Josef: Ich will, dass die Kinder und Enkel der Befreier herkommen und sehen, was aus ihrer Investition - denn das war für Russen und Amerikaner eine Investition - geworden ist. Die werden uns nächstes Jahr besuchen und wir werden zu diesem Thema etwas machen in Pöllau. Sie werden den öffentlichen Raum mit ihrer Kunst in Anspruch nehmen. Als Kontrast zu den Kriegerdenkmälern.

Hermann: Geht's dir mit dem Bürgermeister jetzt besser?

Josef: Das Projekt liegt jetzt beim Kulturausschuss, der ist rot, der Bürgermeister ist schwarz und hat gesagt: "Was wird der Kameradschaftsbund dazu sagen?" Das hat mich elektrisiert.

Hermann: Ich wäre da nicht so elektrisiert. Mir hat der Bürgermeister von Pöllau am Wochenende bei einer Gedenkmesse gesagt, er will mit allen Gruppen reden. Wäre es keine Möglichkeit, auch mit dem Kameradschaftsbund direkt zu reden? Tust du so was? Oder glaubst du, die lehnen dich von vorn herein ab.

Josef: Ich habe ein Problem mit dem Kameradschaftsbund, weil da auch Organisationen wie die Kameradschaft IV sind.

Hermann: Mit der Kameradschaft IV möchte ich auch nichts zu tun haben.

Standard: Mit der Kameradschaft IV der Waffen-SS hat der FPÖ-Chef, Gerhard Kurzmann, kein Problem. Trotzdem können Sie sich eine Zusammenarbeit mit ihm vorstellen?

Hermann: Von der Politik der FPÖ und dem Muezzin-Spiel haben wir uns distanziert. Meine These ist, dass die zwei großen zusammenarbeiten sollen. Ich kann die FPÖ nicht ausschließen, aber damit kündige ich nicht an, dass ich mich von dem - oder nur von dem - zum Landeshauptmann wählen lassen würde.

Standard: Welche Grenze müsste die FPÖ überschreiten, damit Sie ganz persönlich sagen, Sie treten vorher zurück, bevor Sie sich mit denen in eine Regierung setzen?

Hermann: Es gibt eine moralische Grenze. Gewalt beginnt mit der Sprache, wenn ich empfinde, dass es hier schwere Überschreitungen gibt, die nicht mit Demokratie übereinstimmen, dann würde ich sagen: Tut mir leid, geht nicht.

Standard: Warum glauben Sie, dass Sie Ihr Cousin nie wählt?

Hermann: Weil er ein Wanderer zwischen SPÖ und KPÖ ist.

Standard: Und abseits der Parteipolitik, welche konkreten Gründe könnte er haben?

Hermann: Ich bin für Leistungsgerechtigkeit und der Josef für Verteilungsgerechtigkeit.

Standard: Sind das Ihre Gründe?

Josef: Für mich wäre auch die katholische Kirche ein Hinderungsgrund: Trennung von Staat und Kirche, das habe ich in Amerika schätzen gelernt.

Standard: Was haben Sie sonst dort geschätzt?

Josef: Das Land war extrem großzügig zu mir, hat mir eine Ausbildung bezahlt. Ich habe als Nicht-Amerikaner in der Armee mit Afroamerikanern und Hispanics gedient und viel über Toleranz, Gleichheitsprinzip und Freiheit gelernt. Von dieser Großzügigkeit könnten die Österreicher lernen. Meine Frau Janice bringt sehr viel Energie mit, bringt sich über Freiwilligenarbeit ein und unterrichtet Englisch. Aber man bleibt immer ein Fremdkörper. Mein Sohn war fünf, als wir kamen. Er rief den Kindern zu: "Play with me!" Aber sie spuckten ihn an.

Hermann: Das ist bitter. Aber sind nicht Künstler in bestimmten Gegenden des Landes immer Fremde, egal woher sie kommen?

Josef: Ja, aber auch daran müssen wir arbeiten! (Colette M. Schmidt, DER STANDARD, Printausgabe, 22.9.2010)