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Im Angesicht des Sonnensturms: Mehrere Forschungsprojekte versuchen derzeit mehr über den gleißenden Stern und seine Aktivitäten herauszufinden.

Foto: Nasa / Science Faction / Corbis

Das stürmische Sonnenwetter könnte dazu führen, dass auf der Erde Computersysteme und Stromnetze zusammenbrechen.

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Das World Wide Web ist unter anderem ein Tummelplatz der Apokalyptiker. Eine der beliebtesten Prophezeiungen derzeit: 2012 ist Schluss. Konkret am 21. 12. 2012, so haben es schon die Maya berechnet, soll die Welt untergehen. Manch ein Schwarzmaler fühlt sich durch eine interessante astronomische Konstellation sogar bestätigt: Die Sonne soll an diesem Tag im Zentrum unserer Milchstraße stehen, und das soll wirklich nur alle 26.000 Jahre passieren. Das kann ja eigentlich nur übel enden.

Aber auch seriöse Wissenschafter sagen für 2012 ein Ereignis voraus, das sehr unangenehme Folgen haben und Schäden in Milliardenhöhe verursachen könnte: Experten der National Academy of Sciences (NAS) gehen davon aus, dass in zwei Jahren besonders starke elektromagnetische Sonnenstürme eine ernsthafte Bedrohung für Computer darstellen.

Komplexe Systeme könnten zusammenbrechen. Ausfälle von Stromnetzen und Satelliten, Einschränkungen im internationalen Flugverkehr, Störungen bei Bankgeschäften, im Finanzsystem und in staatlichen Dienstleistungen wären dann, wie es heißt, die logische Folge.

Sogar Pumpstationen könnten versagen und damit die Trinkwasserversorgung in den betroffenen Teilen der Welt gefährden, schreiben die Autoren eines Reports, der im Oktober 2009 veröffentlicht wurde und nun kürzlich bei einer Tagung von Planetenforschern in Graz ("Planetary, Solar and Heliospheric Radio Emissions") wieder besprochen wurde. Wissenschafter aus den USA sagten dazu im vergangenen Jahr: "Man wird vielleicht erstmals merken, wie stark wir wirklich von Informationstechnologie abhängig sind."

Für Helmut O. Rucker vom Grazer Institut für Weltraumforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist das kein abwegiges Zukunftsszenario. Im Normalfall würden die geladenen Teilchen mit 300 bis 500 Kilometern in der Sekunde in vier Tagen zur Erde rasen.

Ein Sonnensturm, wie er nun für 2012 vorhergesagt wird, in der Fachsprache koronaler Massenauswurf genannt, nimmt mit einem ungleich höheren Tempo Fahrt auf. Mit 3000 Kilometern pro Sekunde, sagt Rucker, würden diese Teilchen nur 18 bis 24 Stunden brauchen, um zur Erde zu gelangen. Rucker: "Das muss nicht sein, sie können auch vorbeifliegen." Sofern sie aber in Richtung Erde fliegen, "werden sie aufgrund ihrer Intensität sogar unter die Bahn der geostationären Satelliten kommen."

Brennende Leitungen

Das habe schon in der Vergangenheit zu erheblichen Beeinträchtigungen auf der Erde geführt. Das sogenannte Carrington-Ereignis von 1859 habe Telegrafenleitungen abbrennen lassen. Vor etwa zwanzig Jahren seien Teile des kanadischen Stromnetzes ausgefallen.

Für Rucker gibt es zwei Möglichkeiten, derartige Systemzusammenbrüche zu verhindern. Bodengestützte Beobachtung über riesige Antennenanlagen, wie sie unter anderem in der Ukraine stehen. Und Satelliten, die vom Weltraum aus die Wirkung der Sonne und ihrer ausgestoßenen Teilchen auf das Magnetfeld der Erde untersuchen.

Das Projekt Stereo macht das seit Oktober 2006. Über zwei Sonden, Stereo A (Ahead - sie fliegt innerhalb der Erdbahn) und Stereo B (Behind - sie fliegt außerhalb) werden diese Analysen von der amerikanischen Weltraumbehörde Nasa durchgeführt. Das Institut für Weltraumforschung übernahm damals, unterstützt durch das Weltraumprogramm des Verkehrsministeriums, die Kalibrierung der Antennensysteme.

Jupiterstrahlung entdeckt

Mithilfe von Stereo A und Stereo B wurde im Frühjahr dieses Jahres eine Entdeckung gemacht, die zunächst nicht im Zentrum des Interesses stand: eine Radiostrahlung mit bisher unbekannter Periodizität beim Gasplaneten Jupiter. Als Quelle der Strahlung kommen nicht die derzeit bekannte
Jupiterstrahlung  noch der Jupitermond Io infrage, sagt Rucker. Dass Jupiter Radiostrahlung aussendet, ist ja seit bereits 55 Jahren bekannt. Durch ihre Regelmäßigkeit war es somit möglich, die Rotationsgeschwindigkeit des größten Planeten des Sonnensystems zu messen, die sich aufgrund seiner gasförmigen Masse vorerst nicht bestimmen ließ. Eine zweite, vom Jupitermond ausgehen Strahlung wurde auch schon erforscht. Neu ist die dritte Strahlung.

Wie viel Bedeutung den Sonnenaktivitäten beigemessen wird, zeigt auch die geplante europäische Mission Solar Orbiter, die 2017 starten wird. Der Satellit soll laut Auskunft der Europäischen Weltraumagentur Esa (European Space Agency) der Sonne näher kommen als alle bisher aktiven Satelliten. Der Solar Orbiter wird der Sonnenstrahlung und der damit entstehenden Wärme zwanzigmal mehr ausgesetzt sein als die Erde.

Bei der Tagung der Grazer Planetenforscher wurden auch neue Entwicklungen in der Bodenbeobachtung wie die Messung der Radiostrahlung der Sonne und anderer Himmelskörper mit dem Radioteleskop Lofar (Low Frequency Array) besprochen.

Dieses Teleskop besteht aus zahlreichen über die Niederlande, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Schweden und Polen verteilten Einzelteleskopen, die zusammen sogar Exoplaneten aufspüren können.

500 dieser Planeten, die sich nicht im Sonnensystem befinden, sind bereits bekannt. Der erste wurde erst vor 15 Jahren von Schweizer Wissenschaftern nachgewiesen. Rucker erwartet aufgrund der derzeitigen Technologiesprünge, dass weitere bald folgen werden. (pi/DER STANDARD, Printausgabe, 22.09.2010)