Nadia (B. Dalle) droht sich nicht nur im Tanz zu verlieren.

Foto: Stadtkino

Wien - Nadia sagt, Mathematik bringe Ordnung, und in der Ordnung liege Schönheit. Nadia, in ihrem langen roten Kleid, überstrahlt die Gruppe von Freunden, die sich am Flussufer um ein nächtliches Lagerfeuer versammelt hat. Einer davon ist Pierre, er hält sich am Rande. Dann lässt er sich doch zum Tanzen überreden.

Zwischen Nadia (Béatrice Dalle) und Pierre (Isaïe Sultan) besteht eine Verbindung, über den Umstand hinweg, dass sie vierzig und er siebzehn ist. Die beiden unternehmen ausgedehnte Spaziergänge. Die Mathematikerin Nadia führt den Schüler Pierre in eine Welt ein, die er nicht ganz versteht, von der er sich aber angezogen fühlt. Sie genießt seine Gesellschaft, seine Bewunderung und Fürsorge.

Nadia und Pierre verbindet keine romantische Liebe. Die fragmentarische, kühle Erzählweise des Films erlaubt es, ihre intensive Freundschaft ein Stück weit undefiniert und in Schwebe zu halten. Ausgedacht hat sich die eigenwillige Konstellation Patric Chiha: Domaine ist sein erster Kinospielfilm, zuvor hat der 1975 in Wien geborene und in Frankreich lebende Autor und Regisseur kurze, teils dokumentarische Arbeiten gedreht.

Ein Element, das sich durch alle Filme zieht, ist der Raum, der der Natur, speziell dem Wald, als Schauplatz zukommt. In Home (2006) verliefen sich zwei Handelsreisende nahe dem Dachstein. Pierre und Nadia gehen in den Wäldern bei Bordeaux spazieren, queren Cruisinggebiete und Parkanlagen, wenn sie sich nicht in schummrige Bars und Clubs zurückziehen. Dort kommt es einmal zu einem traumwandlerischen Massentanz - einer von vielen bestrickenden Momenten von Domaine.

Nadia trinkt mehr, als ihr gut tut. In einer Reha-Klinik am Semmering soll sie ihre Sucht überwinden. Dort, im nachtschwarzen Winterhochwald wird die Erzählung enden. Ganz am Ende sieht sich jemand gewissermaßen selbst dabei zu, wie er etwas tut oder nicht tut - ein schöner Beleg für die Ambivalenz, die die Montage noch aus den konkretesten Bildern holt. (Isabella Reicher, DER STANDARD - Printausgabe, 25./26. September 2010)