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Plasser: "Für den Wahlprozess sehr problematische Mobilisierungs- oder Demobilisierungseffekte."

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ÖVP-Verfassungssprecher Molterer: "Wir stoßen als nationale Gesetzgeber an Grenzen."

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"Eine neue Herausforderung verlangt neue Ideen", kündigt SPÖ-Verfassungssprecher Wittmann Gespräche mit Molterer an.

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Wahlbehörden-Experte Stein: "Wenn das überhand nähme, würden wir den Datenstrom stoppen müssen."

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Wien - Nicht nur in den Parteizentralen ist an Wahlsonntagen viel los, auch in den Redaktionen. An Wahltagen müssen Journalisten möglichst schnell und ausführlich berichten. Diese nervöse Hektik überträgt sich nun immer mehr aufs Web 2.0.

"SPÖ 38,9%, ÖVP 36,8%", meldete am vergangenen Sonntag der Steiermark-Wahl ein Twitter-User den Zwischenstand bei 277 ausgezählten Gemeinden. Das kam dem vorläufigen Endergebnis schon sehr nahe. Allerdings: Die Meldung stammte von 15.33 Uhr - da konnten die Steirer noch eine halbe Stunde wählen. "Ihr wisst schon, dass das Vorabveröffentlichen höchst illegal ist", antwortete ein anderer Twitter-User prompt.

"Problematische Demobilisierung"

Das Problem: Wahltrends ins Netz zu stellen, ist keineswegs illegal. "Es ist natürlich nicht wünschenswert, dass Ergebnisse früher durchsickern", erklärt Robert Stein, stellvertretender Leiter der Bundeswahlbehörde im Innenministerium. Aber: Es gebe lediglich ein "Gentlemen's Agreement" zwischen Wahlbehörde und Medien, "das seit vielen Jahren erfolgreich ist".

Das verfrühte Publizieren von Hochrechnungen während des Wahltags könne "für den Wahlprozess sehr problematische Mobilisierungs- oder Demobilisierungseffekte" haben, sagt der Politikwissenschaftler Fritz Plasser zu derStandard.at. "Es könnte sein, dass ein Wähler, dessen Partei aussichtslos hinten liegt, am Nachmittag lieber jausnen geht." Auch taktisches Wählen könne Folge der verfrühten Kundgabe sein.

Wittmann hält Stopp des Datenstroms für denkbar

ÖVP-Verfassungssprecher Wilhelm Molterer und sein rotes Gegenüber Peter Wittmann befürchten als negative Folge ebenfalls, dass viele Bürger taktisch wählen könnten. Beide kündigen auf Nachfrage von derStandard.at an, im Zuge der aktuellen Debatte über die Briefwahl auch über verfrühte Web-2.0-Veröffentlichungen reden zu wollen.

Wittmann zu derStandard.at: "Dieses Problem, das wir jetzt das erste Mal in geringer Form erleben, muss man genau beobachten." Für vorstellbar hält Wittmann, Sanktionen gegen das zu frühe Veröffentlichen einzuführen oder die Datenströme während des Wahltages zu stoppen. Er betont, dass dies seine private Meinung und noch nicht Linie der SPÖ sei.

Molterer: Gesetzgeber hat wenig Handhabe

"Es ist zu diskutieren, inwieweit es überhaupt möglich und sinnvoll ist, mit Gesetzen in diese Kommunikation einzugreifen", gibt ÖVP-Verfassungssprecher Molterer im Gepräch mit derStandard.at zu bedenken. "Wir müssen uns fragen: An welche Grenzen stoßen wir als nationale Gesetzgeber?" Molterer nennt als Beispiel, dass ein Österreicher ja einen Freund in Deutschland anrufen und bitten könnte, Wahlergebnisse ins Netz zu stellen. Man könnte dem entgegen wirken, indem man "mit Betreibern von sozialen Netzwerken Agreements schafft", sagt Molterer. Aber: "Ich habe kein Patentrezept."

Bei klassischen Medien läuft die Kontrolle einfacher, sie halten an einem Ritual fest: Die Austria Presse Agentur (APA) erhält schon früh am Wahlsonntag aussagekräftige Hochrechnungen und Teilergebnisse und gibt sie mit dem Hinweis "Sperrfrist beachten" für Österreichs Redaktionen frei. Grundsätzlich gilt: Wie eine Wahl ausgeht, wissen Politiker, Parteimitarbeiter und Journalisten schon weit vor den offiziellen Hochrechnungen, die der ORF meist um 17.00 Uhr mit dem Schließen des letzten Wahllokals präsentiert.

"Chancenlos", den Publizierenden zu finden

Wer die Sperrfrist bricht, den droht die APA "zumindest bis Wahlschluss" von weiteren Informationen auszuschließen. Eine Vertragsstrafe von bis zu 50.000 Euro soll zusätzlich vor zu früher Veröffentlichung abschrecken. Solche Sanktionen sind im Web 2.0 aber ungleich schwerer zu verhängen. "Wenn Sie das privat und anonym machen, haben wir keine Chance das nachzuvollziehen", räumt Christian Kneil, Newsmanager bei der APA, ein.

"Bis auf Appelle hat man keine Möglichkeiten", sagt auch Politologe Plasser. "Man müsste hier detektivische Cyber-Arbeit leisten." Schon bei den US-Präsidentschaftswahlen 2004 habe man sehen können, dass "einzelne Akteure" aus der Bloggerszene "sich nicht an Sperrfristen und professionelle Konventionen halten. Es gibt eine virale Logik und Verbreitung in dieser Sphäre." Plasser hält folgendes Szenario in 10 bis 15 Jahren für möglich: Wenn derartige Veröffentlichungen zunehmen, "gäbe es den sehr begründeten Verdacht, dass ein Einfluss auf die Wahl stattfindet. Dann kann es Wahlanfechtungen geben."

"Dann wird der Datenstrom gestoppt"

Heute sind User, die im Web 2.0 mit ihrem frühen Wissen prahlen, in Österreich noch Einzelerscheinungen. Wahlbehördenleiter Stein hat bei der Steiermark-Wahl zwar von keinem Fall gehört, weist aber darauf hin: "Wenn das überhand nimmt, wird man reagieren müssen. Dann wird der Datenstrom gestoppt."

Das Parlament könnte außerdem das Wahlrecht ändern: Vorstellbar wäre ein einheitlicher Wahlschluss in allen Gemeinden. Kleine Ortschaften würden sich aber beschweren, wenn sie ihre Wahllokale bis 17.00 Uhr offen halten müssten, obwohl der letzte Wähler schon zu Mittag vorbeikam. Vorstellbar wäre auch eine gesetzliche Vorschrift, dass Ergebnisse bis zum Wahlschluss zurückgehalten werden. Molterer: "Das Problem dabei ist: Die Wahlbehörde ist nicht der einzige Informationsträger."

Journalisten als Undercover-Wahlzeugen

Im obersteirischen St. Ilgen zum Beispiel war am 26. September schon um neun Uhr früh Wahlschluss. In Medien gilt das Dorf als "Trendgemeinde". Ein Redakteur hätte sich dort von einer Partei als Wahlzeuge nominieren lassen können und wäre mit den Ergebnissen in die Redaktion geeilt. "Den Wahlzeugen", heißt es in der Wahlordnung ausdrücklich, "ist keine Verpflichtung zur Verschwiegenheit (...) auferlegt." Das gilt natürlich auch für Blogger.

Ein möglicher Ausweg aus diesem drohenden Szenario der manipulierten Wahlen durch vorzeitige Web-2.0-Veröffentlichungen wäre laut Plasser, erst nach Wahlschluss mit der Zählung zu beginnen. Molterer: "Das wäre theoretisch eine der Möglichkeiten." Die mediale Inszenierung des Wahltags würde dann freilich an Dramatik verlieren, räumt Plasser ein. (Lukas Kapeller/derStandard.at, 4.10.2010)