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"Irrte Darwin?" Diese Frage prangt groß am Cover des profil von dieser Woche vor einer nackten Frau mit Baby. Fragen sind meist schlechte Überschriften-Lösungen, in diesem Fall ganz besonders. Die Frage bezieht sich nämlich darauf, dass der britische Gelehrte (zumindest laut profil-Unterstellung) nicht wusste, "dass Erbanlagen durch Umwelt und Lebensstil verändert werden". Im Blatt selbst liefert Wissenschaftschef Robert Buchacher dann mit der nicht unüblichen Verspätung eine große Geschichte über Epigenetik nach – nachdem das Spiegel-Redakteur Jörg Blech mit seinem Buch "Gene sind kein Schicksal" und einer Spiegel-Aufmachergeschichte bereits im August getan hat.

Lehnte Darwin die Umwelteinflüsse auf die Erbanlagen tatsächlich ab? Als Darwins Antipode in dieser Frage gilt der französische Gelehrte Jean-Baptiste de Lamarck (1744–1829), und zu dem hatte der Begründer der Evolutionstheorie ein wechselhaftes, unter dem Strich aber doch eher positives Verhältnis: In seinen frühen Notizheften würdigte er Lamarck als eine Quelle der Inspiration, "im Besitze einer prophetischen Gabe für die Wissenschaften". Später bezeichnete er Lamarcks Theorien zwar als "ausgemachten Unsinn", doch in seinem Werk "Die Variation von Tieren und Pflanzen unter Domestikation" (1868) formuliert Darwin nicht nur seine umstrittene Pangenesistheorie, die eine Beeinflussung der Keimzellen durch die Umwelt vorsieht und die noch Lamarck toppt.

Er führte auch eine ganze Reihe von Beispielen für die angebliche Vererbung erworbener Eigenschaften an, die meilenweit über die Erkenntnisse der heutigen Epigenetik hinausschießen. Darwin berichtete darin von Pferden mit ererbten Hornwucherungen an den Beinen, die sich bei den Eltern der beobachteten Tiere als Reaktion auf das Laufen auf harten Böden gebildet hatten; von einem Mann, der ein Fingerglied verlor und dessen Söhne alle mit der gleichen Missbildung geboren wurden, und andere ähnliche Altweibergeschichten mehr. Das lustigste Darwin-Zitat in dem Zusammenhang: "Die Mohammedaner beschneiden ihre Söhne, aber die Beschneidung erfolgt später als bei den Juden. Und Riedel schreibt mir aus Nord-Celebes, dass die Jungen dort bis zum Alter von sechs bis zehn Jahren nackt herumlaufen und dass er wohl nicht an allen, aber an vielen eine verkürzte Vorhaut beobachten konnte. Dies schreibt er der erblichen Wirkung des Eingriffs zu." Mit diesen epigenetisch unhaltbaren Behauptungen irrten Darwin und Riedel natürlich. Darwin aber zu unterstellen, ein reiner Gen-Determinist und Selektionist gewesen zu sein, ist genauso falsch.