"Es geht nicht ohne einen Erzähler, der das Chaos und die Verwirrung verkörpert. Bücher zeigen, was in meinem Leben vorgeht."

Bret Easton Ellis, 1964 in Los Angeles geboren, schrieb als Student den Erfolgsroman "Unter Null" (1985). Mit "American Psycho" (1991) avancierte er zu einem der wichtigsten amerikanischen Schriftsteller der Gegenwart. Er lebt in Los Angeles und New York City.

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Am Dienstagabend um 20 Uhr liest Ellis im Rabenhof; mit ihm sprach Bert Rebhandl.

Standard: Ihr neues Buch "Imperial Bedrooms" ist eine Art Fortsetzung Ihres Debüts "Unter Null". Allerdings hat sich die Erzählperspektive verändert, was man sofort an dem ersten Satz erkennt: "Sie hatten einen Film über uns gemacht." Wer ist mit diesem "sie" genau gemeint? Hollywood?

Ellis: Woher kam dieser Satz? Wann? Ich begann 2005 über dieses Buch nachzudenken. Es sollte von der Filmindustrie handeln, der Erzähler sollte dort arbeiten, Clay aus "Unter Null" sollte erzählen. Alles kam aus diesem Satz, denn damit konnte ich auch über die Verfilmung von Unter Null sprechen. Für mich kommen Bücher von dort, wo mich etwas nicht loslässt. Es geht nicht ohne einen Erzähler, der dieses Chaos und diese Verwirrung verkörpert. Bücher zeigen, was in meinem Leben vorgeht, und 2005 ging ich eben wieder nach Los Angeles. Und darum geht es in "Imperial Bedrooms". Ein Drehbuch schafft nur eine Vorlage, mit der jemand anderer eine Geschichte erzählen kann. Ein Roman aber ist Gefühl und Stil, man setzt sich selbst aufs Spiel. Das sagt schon der erste Satz. Der Erzähler verliert die Kontrolle.

Standard: Dieser Clay schreibt auf der ersten Seite über den namenlosen Autor, der sein Leben ausgebeutet hat - also über Sie.

Ellis: Das hat viel mit dem Narzissmus von Clay zu tun, und darin spiegelt sich vielleicht mein eigener. Ein Narzisst muss immer die Kontrolle über eine Situation haben. Warum muss Clay dieses Mal "sein eigenes Buch" haben, warum muss er zeigen, dass er kein leeres Gefäß ist? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur: Ich musste mich mit Clay beschäftigen, das hängt mit dem zusammen, was in meinem Leben vorging, als ich Unter Null wieder las. War ich in einer Midlife-Krise? Das könnte zutreffen. Der Roman, den ich im Sinn hatte, war ursprünglich ganz anders. Eine Liebesgeschichte zwischen Clay und Blair. Ich war damals recht glücklich, nachdem ich die Last von "Lunar Park" hinter mich gebracht hatte. Das änderte sich aber bald, und ich hatte dann das Bedürfnis, mich zu bestrafen, mich zu erniedrigen, aufgrund dessen, was damals in meinem Leben vor sich ging.

Standard: Was war das?

Ellis: Ich war 2006 in Los Angeles mit der Verfilmung meines Buchs "The Informers" beschäftigt. Und in dieser Zeit veränderte sich alles sehr schnell und drastisch. Ich verriet meinen besten Freund, weil ich unbedingt wollte, dass der Film gemacht wird. Ich habe ihn beseitigt. Er hat dann drei Jahre nicht mit mir geredet. Das Buch hat sich während dieser Konflikte verändert.

Standard: Was war die wichtigste dieser Veränderungen?

Ellis: Rain Turner.

Standard: Eine sehr schöne, aber unbegabte Schauspielerin, die wichtigste neue Figur in "Imperial Bedrooms".

Ellis: Es gab in meinem eigenen Leben einige von ihnen. Ich habe nicht so darauf reagiert wie Clay, aber es geht um die Idee wechselseitiger Ausbeutung. Das hatte ich noch nie erlebt. Ich habe davor niemand ausgebeutet, und auch bei Rain hatte ich nicht den Eindruck. Aber es gab eine immense Menge Angst und Paranoia, während ich den Film "The Informers" produziert habe. Das war alles ein Initiationsprozess, das Ergebnis ist, dass ich mir einige Feinde gemacht habe. Es war eine Initiation. Man bemerkt, dass man in dieser Welt vollkommen allein ist. Tagsüber versuchte ich dieses Wrack von einem Film vor dem Sinken zu bewahren, in der Nacht - bei mir in der Wohnung - ging das alles in den Roman. Das Buch war fast fertig, als "The Informers" herauskam. Der Film war ein Flop, um es vorsichtig zu sagen. Für mich war das nicht mehr wichtig. Ich fühlte mich schon viel leichter.

Standard: In "Unter Null" wird ein zwölfjähriges Mädchen vergewaltigt - so eine skandalöse Szene brauchen Sie heute nicht mehr.

Ellis: Ich habe nun als ein Mann in seinen Vierzigern auch meine Probleme mit dieser Szene. Es gibt etwas übertrieben Moralisierendes darin, und ich glaube, ich würde sie heute nicht mehr schreiben. Beim Wiederlesen von "Unter Null" merkte ich aber auch, dass sie funktioniert.

Standard: In den USA hat eine Zeitung über "Imperial Bedrooms" geschrieben, das Buch wirke wie eine Kreuzung aus James Ellroy und "Melrose Place". Kränkt Sie das?

Ellis: Die amerikanischen Kritiker mögen mich nicht, da komme ich nicht mehr heraus. Es gibt aber etwas in diesem Vorwurf, das mir eigentlich gefällt: Ich bin ein Fan von James Ellroy, und ich bin ein Fan von "Melrose Place", und es hat etwas, wenn man mit dem Gefühlshaushalt dieser Seifenoper einen Film noir machen wollte.

Standard: Wo sehen Sie sich auf der Landkarte der amerikanischen Literatur, wenn man Jonathan Franzens aktuelles Buch "Freedom" als Orientierungspunkt nimmt?

Ellis: "Freedom" ist auch ein Meisterwerk. Es ist der beste amerikanische Roman in den letzten fünfzehn Jahren. Die Empathie reicht an so viele Orte, das hat wirklich den Atem von Tolstoi. Jonathan ist fünf Jahre älter als ich, aber wir sind dieselbe Generation. Neben "Freedom" fällt natürlich die Mischung aus Trash-Elementen und einer seltsamen, anspruchsvollen Ästhetik bei mir noch mehr auf, das macht die Leute argwöhnisch, und meine Bücher werden nicht so leicht ernst genommen. Jonathan hat doch mit "Die Korrekturen" deutlich gemacht, dass er etwas korrigieren möchte in den Fiktionen unserer Generation.

Standard: Was wollte er korrigieren? Den Geist eines Buches wie "American Psycho"?

Ellis: Vollständig. Jonathan mochte das Buch nicht. Er hatte damals zwei Romane veröffentlicht, wir verkehrten in denselben Kreisen in New York, er gehört zu unserer Generation, und wir hatten etwas gemeinsam: Alle unsere Bücher waren kalt. Wie konnte man von da zur Emotion kommen? Schon "Die Korrekturen" ist ein Panorama, und es stellte sich heraus: Es musste nur einer probieren. Er hat sein ganzes Herz hineingelegt. (DER STANDARD, Printausgabe, 5.10.2010)