Die Viennale erinnert an Eric Rohmer (1920-2010).

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Zeitgemäß moderne Frauen und darob verwirrte Männer - eine typische Konstellation einer jener filmischen Novellen à la Eric Rohmer, sei es in der Strandparabel "La Collectionneuse" ("Die Sammlerin",  1967, mit Haydee Politoff) ...

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... oder im Oscar-nominierten Debattenduell "Ma Nuit chez Maud" ("Meine Nacht bei Maud", 1969) mit Françoise Fabian und Jean-Louis Trintignant

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Hatte immer etwas von einem Literatur-Prof, war schließlich auch einer: Eric Rohmer, hier 1972 bei einem Wien-Besuch

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Wien - Im Jahr 1959 inszeniert Eric Rohmer seinen ersten langen Spielfilm. "Le signe du lion" / "Im Zeichen des Löwen" erzählt von einem Amerikaner in Paris, hat aber weniger Vincente Minnelli im Sinn als Friedrich Wilhelm Murnau: Pierre, ein Musiker, der übers Jahr an den Leben seiner reichen Freunde partizipiert, findet sich mit Sommerbeginn, wenn alle die Stadt verlassen, plötzlich allein und mittellos wieder.

Zum Auftakt ein Abstieg

Rohmer begleitet ganz beiläufig Pierres Abstieg zum Clochard. Dramatik entsteht, wenn beim Öffnen einer Sardinendose Öl auf die einzige Hose schwappt. Weil der Fleck nicht schnell genug trocknet, verpasst Pierre ein Treffen mit einer betuchten Freundin. Bald darauf verliert er sein Zimmer, weil er das Geld für die Miete nicht mehr aufbringen kann. Der Anzug ist auch hin. Pierre verliert nach und nach alle Insignien (klein-)bürgerlicher Respektabilität. Nur ein Kunstgriff, eine klassische Peripetie, kann ihn am Ende noch retten. Das Durchwirken alltäglichster Begebenheiten, gewöhnlicher Leben mit solchen "literarischen" Wendungen, wird ein Wesensmerkmal von Rohmers Arbeiten werden.

"Le signe du lion" gehört zu den ersten Filmen der französischen Nouvelle Vague, Claude Chabrols Firma hat ihn produziert. Wie dieser hat Rohmer - der eigentlich Maurice Schérer heißt, Jahrgang 1920 ist - zuvor für die Cahiers du Cinéma geschrieben (und erste Kurzfilme gedreht), gemeinsam haben sie ein Buch über Alfred Hitchcock veröffentlicht. Jean-Luc Godard sitzt in "Le signe du lion" einmal bei einer Party neben dem Plattenspieler und hebt die Nadel stur immer wieder zu seiner Lieblingsstelle zurück; eine Episode ist auf dem Markt in der Rue Mouffetard aufgenommen, wo sich schon Agnès Varda zu Opéra-Mouffe inspirieren hat lassen.

Überhaupt hält sich der Film bald nur noch im Freien auf, in der sommerlichen Stadt, an der Peripherie, unten am Seine-Ufer oder nachts vor den Cafés in St. Germain. Auch solche Schauplätze, das Flanieren und Spazierengehen, werden das Kino Rohmers prägen. Die Personen, denen Pierre flüchtig begegnet, und die Themen ihrer Unterhaltungen, die er nur ausschnittweise mithört, rücken später gewissermaßen ins Zentrum. Dem Sprechen kommt in Rohmers nachfolgenden Filmen der Stellenwert einer Handlung zu. Die Geschichten entzünden sich oft an einem Gespräch unter zweien oder an dem, was eine dritte Person daraus (fehl-)schließt. Rohmer erreicht in Sachen Konversationskunst im Kino eine ganz spezielle Meisterschaft, die Art der filmischen Gesprächsführung wird stilbildend - zuletzt hat man etwa die Arbeiten der "Berliner Schule" in diese Tradition gestellt.

Moralische Erzählungen

Fast ein halbes Jahrhundert liegt zwischen "Le signe du lion" und Rohmers letztem Film, "Les amours d'Astrée et Céladon" (2007), einer im 6. Jahrhundert angesiedelten romantischen Verwechslungskomödie. Rund zwei Dutzend Spielfilme entstehen dazwischen, etliche davon in den drei großen Erzählzyklen Rohmers aufgehoben:seinen "moralischen Erzählungen" aus den 1960er-Jahren, die mit dem Kurzfilm "La Boulangère de Monceau" beginnen, den "Komödien und Sprichwörtern" - zu denen unter anderem der traurig-leichte Beziehungsfilm "Vollmondnächte" /"Les nuits de la pleine lune" von 1984 zählt - und schließlich den Jahreszeiten-Filmen, die durch die 1990er geleiten.

Mit der Retrospektive im Österreichischen Filmmuseum, die Filme über und mit Eric Rohmer inkludiert, kündigt sich auch die diesjährige Viennale an: Deren Hauptprogramm beginnt am 21. Oktober. Ab dann werden die Cutterin Jackie Raynal, die Schauspielerin Marie Rivière und weitere Mitstreiter des im Jänner verstorbenen Filmemachers in Wien zu Gast sein. (Isabella Reicher/DER STANDARD, Printausgabe, 6.10. 2010)