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Kleiner, roter Drehwurm: Der "Bernina Express" saust über Viadukte durch eine gewaltige Berglandschaft, 2008 wurde die Rhätische Bahn zum Weltkulturerbe erklärt.

Foto: Arnd Wiegemann / Reuters

Am Saoseosee (2028 m) im Val da Camp, Kanton Graubuenden, am Uebergang vom Berninapass ins Val Poschiavo.

Anreise: Flug nach Zürich, zum Beispiel mit der Swiss, von dort mit den SBB nach Landquart und mit der Rhätischen Bahn weiter nach Klosters und Davos. Oder gleich mit dem Zug der ÖBB bei Tag oder in der Nacht nach Sargans und von dort weiter nach Davos. Weitere Informationen über Pauschalangebote und die Davos Card (kostenlose Fahrten auf den meisten Bergbahnen, für den Nahverkehr und Museumseintritte) auf www.davos.ch. Weitere Beratung für Ferien in der Schweiz bei Schweiz Tourismus unter der kostenlosen Telefonnummer 00800 100 200 30.

Foto: ST/swiss-image.ch

Die Sommersaison im Hotel Schatzalp läuft noch bis 31. Oktober, bis 28. Oktober können Führungen durch das ehemalige Sanatorium und den Alpengarten gebucht werden. Danach ist Pause bis zu Beginn der Wintersaison am 17. Dezember. Das Doppelzimmer mit Balkon und Blick auf die Davoser Bergwelt kostet pro Person zwischen 205 und 240 Franken (150 und 180 Euro). Deutlich teurer ist die Jugendstilvilla Guarda, in der früher die Ärzte des Sanatoriums logierten. Günstig hingegen ist die Tageskarte für die Skiregion Schatzalp um 30 Franken. Die Fahrt in der Standseilbahn von Davos Platz ist inkludiert.

Foto: Hotel Schatzalp

Die Fahrt mit dem Bernina-Express beginnt entweder in Chur um 8.32 Uhr oder in Davos um 8.12 Uhr. Ab 25. Oktober in Chur um 8.58 Uhr. Kurz vor Filisur fährt der Zug über das welt- berühmte Landwasser-Viadukt (in Fahrtrichtung rechts sitzen). Die Fahrt nach Tirano kostet 35,60 Euro oder 53,15 Euro in der ersten Klasse. Ermäßigungen für Gruppen ab zehn Personen. Empfehlenswert ist auch die Fahrt von St. Moritz durch das Engadin bis Scuol-Tarasp - oder mit dem Glacier-Express über Andermatt, Interlaken bis Zermatt. Alle Angebote, Auskünfte sowie Informationen zum Weltkulturerbe Bernina-Bahn auf www.rhb.ch.

Foto: swiss-image.ch/Photo by Andy Mettler

"Na servas, das ist eng." Unser Reiseleiter fährt zum ersten Mal mit dem Nachtzug Wiener Walzer in die Schweiz und kann nicht glauben, dass in den Miniabteilen je zwei Menschen schlafen sollen. Es ist aber so, bequemer wird's nicht im Doppelstock-Schlafwagen, die Koffer müssen auf den Waschtisch. Gepäck auf den Gang zu stellen sei "streng verboten", mahnt die Schaffnerin. Mit zwanzig Minuten Verspätung fahren wir ab - Bahnalltag in Österreich eben. Am nächsten Morgen aber: die Schweiz! Sargans erreicht der Wiener Walzer gerade noch rechtzeitig zum Umsteigen in den Zug nach Landquart, wo schon der Zug nach Davos wartet. Das sind die Vorteile des Schweizer Taktfahrplans, den österreichische Verkehrspolitiker und Bahnmanager stets als Vorbild bezeichnen, von dem sie sich aber mit jedem eingestellten Zug und jeder aufgelassenen Strecke weiter entfernen.

Die Schweizerischen Bundesbahnen SBB fahren im Kanton Graubünden nur die Hauptstadt Chur an. Täler und Touristenorte wie Arosa, St. Moritz, Scuol, Klosters und Davos werden durch die "kleine Rote" erschlossen, die Rhätische Bahn mit Spurweite ein Meter. Die Schmalspurzüge fahren schnell und führen Niederflurwagons.

Erst die Bahn hat dem abgeschiedenen Davos auf 1560 Meter Seehöhe den Aufstieg zu Europas größtem Lungenkurort ermöglicht. Die späte Entwicklung merkt man ihm an. Die höchstgelegene Stadt Europas ist ein Meer gesichtsloser Würfelhäuser, aus dem einzelne monumentale Hotelbauten wie das "Belvedere" herausragen.

In Konkurrenz mit dem mondänen St. Moritz oder dem Berner Oberland hat es Davos nicht leicht, muss die lokale Touristikerin Aurelia Schmid zugeben. Man setzt auf internationale Konferenzen, auf entschleunigten Familientourismus, Wanderwege, Golfplätze und Radwege: "Auf Adrenalin-Programm wie Bungeejumping verzichten wir." In alle Täler fahren die gelben Postautobusse im Stundentakt. Zum Beispiel ins Sertigtal, von wo man über atemberaubende Bergkämme ins Engadin wandern kann. Oder man borgt sich bei der Postautohaltestelle einen Roller aus, der hier "Trotti" heißt, und rollt gemütlich an Kuh- und Schafherden vorbei ins Tal.

Neu ist der Ton in Gastronomie und Hotellerie. Man spricht hochdeutsch, mit sächsischem Akzent. Dass die Deutschen das Schweizer Gastgewerbe übernommen haben, kann man für den Untergang der Eidgenossenschaft halten - oder für einen Sieg der Zivilisation. Zum ersten Mal würde er in Beizen und Hotels freundlich bedient, sagt ein Freund aus Zürich: "Eine Schweizer Serviertochter - das ist doch Brutalität pur."

Auch Michael Feulner kommt aus Deutschland, aber wenn der Manager mit Begeisterung und Liebe zum Detail durch sein Hotel Schatzalp führt, könnte man meinen, er sei seit der Eröffnung im Jahr 1900 hier - oder wenigstens seit dem Kuraufenthalt von Katia Mann 1912. Damals besuchte Thomas Mann seine Frau, und aus seinen Eindrücken des modernsten Sanatoriums Europas entstand der "Berghof" im Zauberberg. Von Davos-Platz ist das imposante Gebäude am Berghang mit einer Standseilbahn erreichbar. Eine Heilanstalt ist es schon seit den 20er-Jahren nicht mehr.

Nach Jahrzehnten des Verfalls haben zwei Davoser das Gebäude vor ein paar Jahren übernommen und es sanft renoviert. Stolz zeigt Feulner die riesige Sonnenterrasse mit Blick auf die Bergwelt, den Jugendstil-Speisesaal mit dem Besteck aus der Hochzeit des Sanatoriums und den originalen Spucknäpfen für die Lungenkranken. Die Zimmer sind spartanisch und klein wie eh und je, nur der Röntgenraum ist jetzt eine Bar mit Möbeln aus den Sechziger-Jahren.

Nicht allen gefällt das, neureiche Russen haben vor so viel Nostalgie zu einem stolzen Preis schon Reißaus genommen, erzählt Feulner. Doch die Stammkunden schätzen die Atmosphäre und Zimmer ohne Fernsehgerät. Die Moderne soll mit einem riesigen Turm der Stararchitekten Herzog & de Meuron auf der Schatzalp Einzug halten. Die Davoser stimmten dem gewagten Projekt zu, nun fehlt ein Investor.

Alles altmodisch

Im Winter geht man vom Hotel direkt auf die Pisten, mit Skiliften aus den 70er-Jahren. Sie werden gewartet, aber nicht modernisiert. Alles soll altmodisch bleiben. So fügt sich auch der knorrige Gärtner des "Alpinum" ins Bild, wenn er über die Verkommenheit einer Welt klagt, in der Kinder keine fünf Alpenpflanzen mehr aufzählen könnten. Wer seinem Alpengarten nicht genug Respekt erweist, fliegt raus. Der Manager lächelt verlegen über den floristischen Taliban. Zuerst habe auch er sich vor seinem Gärtner gefürchtet, bekennt er, "aber er weiß halt alles über Pflanzen".

Am nächsten Morgen steht der Bernina-Express im Bahnhof "Davos Platz" bereit für die vierstündige Fahrt nach Tirano. Er hat sechs Aussichtswagen und wird von einem brandneuen Allegra-Triebwagen der Schweizer Firma Stadler-Rail gezogen. Von den Plätzen der ersten Klasse kann man die Bergwelt aus Perspektive des Lokführers betrachten. Im Führerstand sitzt Chantal, eine junge Lokführerin aus Bern, die früher schwere Güterzüge über den Lötschberg führte. In der Wirtschaftskrise wurde sie an die Rhätische Bahn verliehen. Jetzt fährt sie seit zwei Jahren die kleine Rote und will nicht mehr weg.

Alles sei viel persönlicher bei der Rhätischen Bahn, sagt sie. Und Davos sei ein feiner Platz zum Leben, mit "vielen Lädeli" und einem Kino. Leise schnurrt der Allegra durch die wilde Zügenschlucht und über die größte Steinbrücke der Rhätischen Bahn. Dann geht es hinauf auf den Albula-Pass, durch Kehrtunnel, über Viadukte. In den Wagons erklärt eine Frauenstimme aus dem Lautsprecher Landschaft und Bahnbauten. Die Straße auf den Pass bis Preda ist im Winter gesperrt und dient als lange Rodelbahn. 800 Höhenmeter muss der Zug von Davos bis zum Albula-Scheiteltunnel klettern, 2008 wurde die Strecke ebenso wie die anschließende Bernina-Bahn von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt. Die Bernina-Strecke feierte dieses Jahr ihren hundertsten Geburtstag.

Über die Baumgrenze

In St. Moritz macht der Zug kehrt und klettert dann noch einmal in engen Kurven bis weit über die Baumgrenze. Auf dem Bernina-Pass liegt schon im September Schnee, und auch wenn die Diavolezza und der Piz Palü sich gern in den Wolken verstecken, bleibt doch der Blick auf die tiefgrünen Gletscherseen. Von der Halte- stelle Moteratsch führt ein Lehrpfad zum gleichnamigen Gletscher.

Beim Hospiz Bernina erreicht der Zug den höchsten Punkt der Strecke auf 2253 Meter, danach steigt er zur Alp Grüm ab. Man könnte im Bahnhof übernachten, es gibt ein uriges Restaurant, das am Abend von Bergsteigern und Jägern besucht wird und kleine Zimmer hat, mit Blick auf den Gletscher. Wenn der letzte Zug kurz vor 21 Uhr die Touristen mit ins Tal genommen hat, hört man hier oben nur mehr den Wind, das Rauschen des Gletscherwassers und ab zu du den scharfen Schrei einer Bergdohle. Und weit unten sieht man die matten Lichter der Gemeinde Puschlav.

Doch wir können nicht bleiben, der Zug hat nur eine Minute Aufenthalt und stürzt sich dann wie die Felsenspringer von Acapulco ins Tal. Die Strecke ist ein eindrucksvolles Zeugnis Schweizer Sturheit: Nur weil hier eine tausend Meter hohe Wand steht, heißt das noch lange nicht, dass sie keine Bahn bauen können.

Auf der ersten Talstufe wird die kleine Rote zur "piccola rossa" und das Puschlav-Tal zu Posciavo. In den südlichen Tälern Graubündens spricht man Italienisch. Noch einmal schraubt sich der Zug in die Tiefe, über und durch das berühmte Kehrviadukt von Brusio, bis er die Endstation Tirano erreicht. Die liegt schon jenseits der Grenze, im italienischen Veltlin. Die meisten Reisegruppen machen hier kehrt, oder sie steigen in einen Bus der Rhätischen Bahn, um durch den italienischen Korridor ins Schweizer Tessin zu gelangen. Auch diese Fahrt birgt viele Überraschungen. Aber das ist eine andere Geschichte. (Bernhard Odehnal/DER STANDARD/Printausgabe/16.10.2010)