Gefährlich unwiderstehlich: Ray Danton als Mann mit großen Zielen im Gangsterfilm "The Rise and Fall of Legs Diamond".

Foto: Viennale

Die sogenannten Nullerjahre, die mit einer beispiellosen Weltfinanzkrise zu Ende gingen, werden häufig mit den 1920er-Jahren verglichen, die mit einer Weltwirtschaftskrise zu Ende gingen. So wie damals soll es dieses Mal nicht kommen, die Lektion von 1929 wird allenthalben beherzigt, deswegen pumpen die Regierungen Geld in die Wirtschaft, das sie sich an anderer Stelle zurückholen. Geschichte wird zum Lehrstück, die Lektion aber wird zur Farce.

Auch die Viennale gibt in diesem Jahr eine Lektion aus dieser Zeit: Budd Boettichers Gangsterfilm The Rise and Fall of Legs Diamond stammt zwar aus dem Jahr 1960, führt aber zurück in die Zeit der großen Verbrecherorganisationen. Es war eine "Ära der unglaublichen Gewalt", wie ein Insert zu Beginn verkündet (das Bild im Hintergrund ist gar nicht erst "historisiert", es verweist unverhohlen auf die Gegenwart der modernen Großstädte).

Der Aufstieg des Jack Diamond zu einem der großen Paten ergibt die Geschichte eines klassischen Selfmademan: Ein Mann ohne Vergangenheit, der beobachtet, seine Schlüsse zieht und diese dann mit unerhörter Härte umsetzt. "Legs" nennen ihn die Leute, weil er ein guter Tänzer ist. Da halten sie ihn noch für einen frechen Kerl und nehmen ihn nicht wirklich ernst. Der Pate Arnold Rothstein (Robert Lowery) aber weiß schon: Legs Diamond ist "a man with a plan" - nur worin dieser Plan besteht, erfahren die Leute oft erst, wenn sie schon eine Kugel im Leib haben.

Der Plan ist einfach: Da will einer die Kontrolle, und um das zu erreichen, setzt er Ruhe und Frieden der sorgfältig ausbalancierten Gangsterorganisationen aufs Spiel. Legs Diamond ist die Verkörperung einer grundsätzlichen Destruktivität des modernen Menschen, der sein Maß nicht findet, weil er sieht, dass er nur durch Maßlosigkeit einen Schritt über den Status quo hinauskommt. Darin liegt das Zeichenpotenzial dieser wildesten aller klassischen amerikanischen Verbrecherelogen: "Crime doesn't pay", das gilt auch hier, aber das Glitzern in den Augen des nie wirklich groß herausgekommenen Ray Danton ist nahezu unwiderstehlich.

1995 brachte die Viennale Budd Boetticher nach Wien, sechs Jahre vor seinem Tod. In den fünfzehn Jahren seither ist der Kontakt zum klassischen amerikanischen Studiokino noch einmal ein wenig loser geworden, eine Erzählweise wie die von Boetticher hat im Kino der Gegenwart kaum noch Entsprechungen. Man muss auf die sarkastischen Ellipsen in The Rise and Fall of Legs Diamond achten, dann wird man von Beginn an sehen, dass dieser Aufstieg nicht eigentlich auf einen Umschlag zuläuft, sondern immer schon durchlöchert ist von Nihilismus.

Die Viennale widmet The Rise and Fall of Legs Diamond all denen, "deren Fall wir nicht erwarten können" - eine Kampfansage! (Bert Rebhandl/ DER STANDARD, Printausgabe, 21.10.2010)