Mutter mit 55: Annegret Raunigk und Tochter Lelia im Berliner Garten.

Foto: Birgit Baumann

Berlin - Wir wird sie aussehen? Viele Falten haben? Schon ein bisschen langsam gehen? Auf dem Weg zu Annegret Raunigk drängen sich solche Fragen unweigerlich auf. Die Berlinerin ist die älteste Frau in Deutschland, die auf natürliche Weise ein Baby bekommen hat. Fünf Jahre ist das jetzt her, 55 Jahre war sie damals.

Als sich die Tür zum Spandauer Reihenhaus öffnet, sind derlei Alters-Überlegungen schnell obsolet. Annegret Raunigk trägt Jeans und T-Shirt, hat ein Tattoo und sieht nicht aus wie eine Oma, obwohl sie bereits eine ist. Überhaupt sind bei den Raunigks einige Koordinaten ein wenig anders. Nesthäkchen Lelia ist jetzt fünf Jahre alt und das 13. Kind der Berliner Lehrerin. Ihre älteste Tochter ist 39 Jahre alt, sechs Enkelkinder sind deutlich älter als deren fünfjährige Tante Lelia. Von den fünf Vätern blieb keiner.
War es geplant, mit 55 Jahren noch späte Mutter zu werden? "Späte Mutter?" Der Ausdruck kommt bei der resoluten Berlinern nicht so gut an. Blödsinn sei das, sagt sie. Sie fühle sich überhaupt nicht alt, sondern immer noch so, als sei sie 20 Jahre alt. Obwohl: "Manchmal gibt es natürlich auch Tage, da fühle ich mich wie 100."

Geplant war die kleine Lelia nicht. Und die damals schon zwölffache Mutter war etwas erstaunt, als sie merkte, dass noch ein Kind kommt. Während der Schwangerschaft sorgten sich andere mehr um sie als sie selbst. "Da war kein Unterschied zu meinen früheren Schwangerschaften", sagt sie.
Aber sie merkt schon, dass sie ihre jüngste Tochter als ältere Mama anders erzieht als ihre Erstgeborene, die sie bereits mit 22 Jahren bekam: "Man stürzt sich nicht mehr so bedenkenlos rein. Ich weiß genau, wo ich die Grenzen setzen muss."

Für Lelia hat sie auch mehr Zeit als für die anderen Kindern. "Sie wächst ja fast wie ein Einzelkind auf", sagt Raunigk. Denn die zweitjüngste Tochter, Auda, ist auch schon 18 und zieht demnächst aus. Dann bleiben nur Mama Annegret und Lelia zurück.

Bei aller Liebe zu ihrem Mädchen, manchmal bedauert Raunigk, dass sie nie einfach für sich sein kann: "Es ist wie ein Endlosprogramm. Ich komme aus dieser Mutter-Verantwortung nicht raus." Sie weiß, dass noch schwierige Zeiten kommen: Wenn Lelia in zehn Jahren in der Pubertät ist. Dann ist Annegret Raunigk 70 Jahre alt. (bau/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 23./24.10.2010)