Barbara Blaha (ganz links) mit den TeilnehmerInnen der Diskussion "Solidarisch aus der Krise?": Birgit Mahnkopf (zweite von links), Moderatorin Rosa Lyon, Engelbert Stockhammer und Gabriele Michalitsch.

Foto: dieStandard.at/Beate Hausbichler

Der kleine Ort Hallstatt ist seit 2008 der Veranstaltungsort der Momentum-Kongresse.

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Der kleine Seeort Hallstatt versank bereits im Schatten, als die ersten TeilnehmerInnen des Kongresses "Momentum10: Solidarität" eintrudelten. Nur noch die Spitze eines der 900 EinwohnerInnen-Gemeinde gegenüberliegenden Berges erstrahlte in der Herbstsonne. Aber die 214 TeilnehmerInnen hatten ohnehin nicht Urlaub im Sinn – ganz im Gegenteil. Die Momentum-MacherInnen, die vergangenen Donnerstag zum dritten Mal nach Hallstatt baten, haben sich einmal mehr einen umfangreichen Arbeitsschwerpunkt ausgesucht. Nach "Freiheit" (2008) und "Gerechtigkeit" (2009) sollten heuer entlang des Begriffes "Solidarität" Konzepte, Ideen und Alternativen diskutiert werden, um den vorherrschenden ökonomischen und politischen Denkmustern etwas entgegenzusetzen. 

Diesem Zweck soll vor allem ein Bündnis zwischen akademischen und politischen Diskursen dienen, eine Verbindung, die sich der veranstaltende Verein "Momentum. Verein für kritische Wissenschaft und Politik" seit dem ersten Kongress auf die Fahnen schreibt. Um einen umfangreichen Input in den acht unterschiedlichen Thementracks zu gewährleisten, wurden die TeilnehmerInnen um Papers gebeten. "Leute aus der Praxis waren gar nicht so leicht davon zu überzeugen, ein Paper einzureichen", so Momentum-Präsidentin Barbara Blaha gegenüber dieStandard.at. "Für Leute aus dem akademischen Bereich ist das ja selbstverständlich. Für uns ist es aber sehr wichtig, dass auch Leute aus der Praxis hier sind", so Blaha über die vereinzelte Scheu, Papers einzureichen, die die Diskussions-Grundlage für die Arbeit in den kleineren Track-Gruppen waren.

Gibt es auch eine böse Solidarität?

Am Eröffnungsabend am Donnerstag wurden Reden über "Solidarität" geschwungen. Vorher mussten die ZuhörerInnen noch Kennenlern-Spiele über sich ergehen lassen, die eher an Seminare für das mittlere und obere Management in Konzernen erinnerten, denn an eine Zusammenkunft linker TheoretikerInnen und PraktikerInnen.

Barbara Blaha, die vielen noch aus ihrer Zeit als ÖH-Vorsitzende (2005 bis 2007) bekannt ist, über den diesjährigen Schwerpunkt: "Solidarität erdet das politische Handeln" und es muss mehr Solidarität vom Wohlfahrtsstaat gefordert werden, was schließlich eine Forderung nach einer gerechteren Welt ist, so Blaha. Ob Solidarität per se etwas Gutes ist, stellte Heiner Flassbeck im Anschluss aber in Frage. Der Chef-Volkswirt der UNO-Organisation für Welthandel und Entwicklung (UNCTAD) griff zwar Blahas Metapher, mit der sie die Selbstverständlichkeit und Notwendigkeit von Solidarität verdeutlichen wollte, auf: Wenn eine/einer hinfällt, dann helfen wir ihm/ihr auf. "Aber wir müssen doch wissen: Ist da jemand gefallen oder gestoßen worden?" gab Flassbeck zu bedenken, und: "Wie können wir verhindern, dass künftig geschubst wird?", was Flassbeck zur Frage führte, was Solidarität im wirtschaftlichen Bereich bedeuten könnte. Solidarität mit Banken, die von Staaten zinsenfrei Geld bekommen?  Es gäbe somit durchaus gefährliche Aspekte von Solidarität, etwa wenn sie verhindert, dass darüber geredet wird, was eigentlich passiert ist – Stichwort Finanzkrise.

Die am Freitag, Samstag und Sonntag stattfindenden Tracks beschäftigten sich unter anderem mit Verteilung/Umverteilung, Transnationale Solidarität, Arbeitsrecht/Arbeitsverhältnisse, Gewerkschaften oder der Hegemonie in der Mediengesellschaft. Im Medien-Track wurden unter der Leitung des politisch engagierten Theoretikers Alex Demirovic und des Medientheoretikers Leonhard Dobusch Medien auf ihre Eigentumsstrukturen und die Gestaltung hegemonialer Denkmuster hin untersucht. Auch die Frage, ob die Digitalisierung neuen Medienkonzepten Vorschub leisten könne und Strukturen so neu verhandelbar werden, stand auf dem Plan.

Im Track "Zukunft der Gewerkschaften" wurde etwa die Rolle von BetriebsrätInnen thematisiert. Denn ihnen ginge durch ein ständig wechselndes Management das Gegenüber verloren, gleichzeitig hätten die kurzzeitigen ManagerInnen wenig inhaltliche Kompetenz. Die Folge: BetriebsrätInnen würden zunehmend in die Rolle von Ko-ManagerInnen gedrängt werden. Das führte innerhalb des Tracks zur Frage, warum BetriebsrätInnen dann nicht gleich den jeweiligen Laden übernehmen können.

Widersprüchliche Argumentation

"Die Neoliberalen" oder "die Konservativen" waren während des gesamten Wochenendes Thema. Ob sich ihre Argumente aber unterscheiden, und wie diese genau aussehen, dem ging im Track über die Hegemonie der Medien Barbara Kapeller nach. Kapeller konnte, wie auch andere Debattierende und Vortragende beim Kongress, einige Widersprüche aufzeigen. Einige argumentieren stets entlang von "Freiheit", die sie etwa durch staatliche Eingriffe durch die Familienpolitik bis in die intimsten Bereiche bedroht sehen. Andere hingegen berufen sich konsequent auf die Gesetzmäßigkeiten des Marktes, denen wir uns nun mal beugen müssen, so Kapeller.

Widersprüche, wie der zwischen Freiheit und Zwang, würden die Brüchigkeit der dominierenden ökonomischen Debatten aufzeigen, so der Ökonom Engelbert Stockhammer bei der Podiumsdiskussion "Solidarisch aus der Krise?" am ersten Kongresstag. "Die neoliberalen Theorien hinken hinten und vorne", und laut Stockhammer haben sie schlicht und einfach nicht funktioniert: "Dieses System hat uns weder Stabilität, noch Wachstum, noch höhere Löhne gebracht". Dass das im Allgemeinen nicht so wahrgenommen wird, sieht Mitdiskutantin Gabriele Michalitsch in einer spezifischen Wissensproduktion und Wissenszirkulation begründet. So würde etwa dort, wo monopolistische Strukturen vorherrschen, von Wettbewerb gesprochen. "Abstimmungen und Kooperationen werden so verdeckt", so die Politikwissenschafterin, für die der Begriff Wettbewerb auch eng mit dem Leistungsmythos verwebt ist, der ebenso vielfältige Dispositionen unsichtbar macht. Die dritte Diskutantin in der Runde nahm sich einen weiteren – stets nur positiv besetzen – Begriff zur Brust: Effizienz. Birgit Mahnkopf, auch Politikwissenschafterin, fragte: Ist Effizienzsteigerung immer etwas Gutes? Für die Politik ist sie das nicht, ist Mahnkopf überzeugt. Die Politik muss sich vielmehr nach Gerechtigkeit oder Fürsorge orientieren, nicht an Kosteneffizienz. Die drei DiskutantInnen taten sich mit klaren Forderungen nicht schwer: Integrative Solidarität, Teile des Finanzsektors müssen ohne Gewinnorientierung auskommen und Erhöhungen der Löhne sind nur einige davon.

"Kein sozialdemokratisches Schaulaufen"

Nach einer Lesung von Robert Misik aus seinem neuen Buch "Das machen wir doch mit links – Anleitung zur Weltverbesserung" und der anschließenden Abschlussparty lag am Sonntagvormittag trotz erster Ermüdungserscheinungen noch die Abschlussdiskussion an.

Barbara Blaha, Alex Demirovic und Leonhard Dobusch sprachen auf dem Podium über konkrete politische Initiativen und ihr Verhältnis zu Praxis und Theorie. Dobusch veranstaltet im Februar in Berlin den Linksreformismus-Kongress, ein "Momentum-Ableger", wie Blaha meinte. Eine Betitelung, die für Dobusch durchaus passend war, im Gegensatz zum Kongress in Berlin würde aber "Momentum schon sehr mit der SPÖ in Verbindung gebracht". Dass das Spannungsfeld Politik und Wissenschaft nicht einfach zu bewältigen ist, betonte auch Blaha: "Man muss schauen,  dass es zu keinem Schaulaufen sozialdemokratischer PolitikerInnen wird." 

Eine weitere Herausforderung sahen die drei darin, eine möglichst vielfältige Teilnahme an Kongressen wie diesen zu gewährleisten. Es soll kein "elitärer Haufen" sein, meinte Blaha. Auch standen 88 Teilnehmerinnen 126 Teilnehmern gegenüber, was sich auch bei den Redebeiträgen widerspiegelte. Laut Robusch muss es daher auch weiterhin ein Ziel sein, dass sich mehr Frauen zutrauen, etwas Kluges zu Papier zu bringen, "Männer haben da oft mehr Selbstvertrauen, auch wenn es dann gar nicht so klug ist."

Für Demirovic wäre ein breiterer medialer Blick künftig nötig, "JournalistInnen wissen oft gar nicht, wohin sie gehen sollen", was den beschränkten Diskurs über Ökonomie und Politik verantworten würde.

Ob und wie die TeilnehmerInnen und der Kongress auf Politik und Theorie Einfluss nehmen, kann beim nächsten Momentum-Kongress überprüft werden. Wieder in Hallstatt und wieder zu einem großen Wort: "Gleichheit". (Beate Hausbichler, dieStandard.at, 27.10.2010)