Alnwick Castle ist nach Windsor das zweitgrößte bewohnte Schloss des Landes und diente als Vorbild für Harry Potters Welt.

Foto: Visitbritain

Im November, wenn der hingehauchte Frost seine feinen, Weiß in Grau gestrichelten Bilder zeichnet, die alten knorrigen Äste und 65.000 Pflanzen wie grafische Silhouetten in den winterlichen Nebel setzt, verströmt Northumberlands Alnwick Garden einen ganz besonderen Reiz. Die "Peitschende Weide" sucht man dann vielleicht vergeblich. Aber der Zauber, der Harry Potters Welt umtreibt, ist trotzdem auf Schritt und Tritt spürbar. Da wären: Die Schlangenlinien von "Serpent Garden" und die geheimnisvollen Giftpflanzen des "Poison Garden". Ferner ein Labyrinth, in dem sich auch Magier erst mal orientieren müssen. Eines der größten Baumhäuser der Welt breitet sich daneben über einer mächtigen Krone aus.

Seit 2005, dem prolongierten Höhepunkt des Harry Potter-Hypes, wachsen sich in einem der schönsten Gärten Europas die neuen Fantasy-Pflänzchen zurecht. Doch der Besuch des verzauberten Gartens ist zugleich bloß ein lohnenswerter Abstecher auf dem Weg zur viel älteren Attraktion der Gegend: Alnwick Castle lautet die Adresse, ein Anwesen, dessen markante Umrisse zuletzt als Harry Potter-Drehort und Zaubererschloss Hogwarts zu neuen Ehren kamen, was wohl kein Zufall war. Aber das nach Windsor zweitgrößte bewohnte Schloss des Landes verströmt eine ganz besondere Magie: Eine Gerümpelkammer der langen Historie findet sich da, in der sich nicht nur Gotik und Renaissance zu zauberhaften Stilcollagen mixen, sondern auch knarzende Dielen und gelebte Geschichte: Seit 700 Jahren residieren die Percys in diesem "Windsor des Nordens". Bis heute dient Alnwick Castle Northumberlands Dukes und Duchesses als schaurig-heimeliges Zuhause - und Besuchern aus aller Welt als Highlight des Trips durch Englands Nordosten.

Weich gezeichnet tauchen etwas weiter südlich die rollenden Hügel des winterlichen Tees Valley auf, und die üppigen Wedel der Farne leuchten jetzt rostfarben im milchigen Licht. Etwas später im Jahr birgt die Reise durch Englands ebenso romantischen wie wenig besuchten Nordosten eine ideale Kulisse für darin verborgene Weihnachtsüberraschungen. Das Örtchen Yarm, am Südufer des River Tees wäre so ein Fall: Prototyp einer gregorianischen Marktstadt, die voll Stolz auf die hier besonders alte Zeremonie der prächtigen Christbaumilluminierung blickt. Englands Nordosten ist voll von solchen "heritage events", die seit längerem ein sinnliches Comeback erleben. Denn es gab Zeiten, als Weihnachtsmärkte in Großbritannien untersagt waren - fast hätte Oliver Cromwells Diktum diese alte Tradition getilgt. Im Falle von Northumberland machten zunächst Bauernmärkte Appetit auf die Festtage. Die Hummer- und Langustensaison ist um diese Jahreszeit auf dem Höhepunkt angelangt, und Northumbrias Käsesorten zeigen sich von der besten Seite. Aber das tut auch das lokale Wildpret: Denn die "Christmas Farmers Markets" machen mitunter auch Lust auf exotisch anmutende Ringeltaube.

Wer im Spätherbst in Tynemouth, bei Barnard Castle, in Hexham, Greenhad oder Morphet vorbeikommt, kommt um Zuckerwatte und Santa-Show kaum herum. Das beweist auch der Ausflug ins Küstenstädtchen Berwich, wo Figuren aus Charles Dickens' Tagen lebendig werden. Mit dicken Backenbärten, Zylindern und breit gereiften Röcken mischen sich die Darsteller unters Publikum - ein Nebenjob zu den dann florierenden "Christmas Carols". Viel älteren Traditionen folgt man indessen im Römischen Fort von Arbeia, das am kürzesten Tag des Jahres, das römische Saturnalia-Fest auferstehen lässt: Mit tausenden Kerzen, die in der Antike für einen Wunsch entstanden - die Rückkehr des Sonnenlichts.

Blickt man von der offenen Dachterrasse des im Herzen von Middlesbrough gelegenen schnörkellos gestalteten Institute of Modern Art, gehen die gedämpften Farben des Nordostens, die grün, gelb, rostrot kolorierte Ruhe des angrenzenden Moors, in Avantgardekunst über - und umgekehrt. All das gilt schon gar für das urbane Zentrum Newcastles, einer Stadt mit stark weltstädtischen Zügen, die längst mit dem benachbarten Gateshead zum urbanen Kulturmekka des englischen Nordosten zusammengewachsen ist. (Robert Haidinger/DER STANDARD/Printausgabe/30.10.2010)