Je reißfester Papierverpackung ist, desto sparsamer kann man sie einsetzen.

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Papier ist in seinen vielfältigen Anwendungsgebieten ein derart alltägliches Gebrauchsmaterial, dass man annehmen will, Produktion und Nutzung seien längst bis zum Anschlag optimiert. Spricht man mit Robert Schennach von der TU Graz, wird schnell klar, dass das Gegenteil der Fall ist. Als Leiter des Christian-Doppler-Labors für Oberflächenphysikalische und chemische Grundlagen der Papierfestigkeit versucht er mit seinem Team überhaupt erst "zu verstehen, was zwei Papierfasern zusammenhält" . Das sei eine Frage, "auf die man bis heute keine richtige Antwort weiß" .

Mit den Antworten, die gefunden werden, soll vor allem die Reißfestigkeit von Sackpapier verbessert werden, also jeder Art von Papierbehältnis vom Sackerl aus der Bäckerei bis zum Zementsack, der hohen Anforderungen gewachsen sein muss. Zementsäcke sollen nicht nur möglichst reißfest, sondern auch besonders porös sein, zwei diametral entgegengesetzte Eigenschaften. Sie werden in nur ein bis zwei Sekunden mit einer Gas-Zement-Mischung eingeblasen, das Gas muss auch wieder austreten können.

Solche Papierarten brauchen den Rohstoff Holz, weil Papierfasern beim Recyceln an Festigkeit verlieren. Schafft man es aber, den Zement etwa statt in dreilagigem Papier nur in eine Lage eines reißfesteren Papiers zu füllen, senkt das nicht nur Produktionskosten, sondern schont auch die Umwelt. Es lohnt also, sich Papierfasern näher anzusehen.

Üblicherweise geht man von fünf Bindungsarten von Papierfasern aus: Neben mechanischer Verzahnung und Wasserstoffbrückenbindungen spielen Wechselwirkungen zwischen Atomen (Van-der-Waals-Kräfte), die gegenseitige Durchdringung auf molekularer Ebene (Interdiffusion) und die negative Ladung in den Fasern (Coulomb-Wechselwirkung) eine Rolle. Es gilt nun herauszufinden, welche dieser Kräfte wie viel Einfluss auf die Papierfestigkeit haben, um dann möglichst effizient eingreifen zu können. Die Papierfaser sei aber "so ein komplexes Ding, dass man überhaupt nur interdisziplinär eine Chance hat, auf einen grünen Zweig zu kommen" , sagt Schennach. Drei Institute arbeiten mit verschiedenen Methoden daran: Das Grazer Institut für Papier und Zellstofftechnik bringt einzelne Papierfasern zur Bindung - "was auch nicht ganz einfach ist" -, gießt sie dann in Kunstharz ein, um sie mit einer Diamantklinge in dünne Scheibchen zu schneiden, in einem Mikroskop anzuschauen und mit einem dreidimensionalen Bildgebungsverfahren im Computer zu rekonstruieren. Das Ziel ist, zu verstehen, auf welcher Fläche sich die Fasern berühren, wo es atomare oder molekulare Bindungen gibt und welchen Einfluss hier Veränderungen haben.

Am Institut für Physik der Montan-Uni Leoben wird das Verhalten der Fasern im Nanobereich mittels eines Rasterkraftmikroskops erforscht. Mit dem Spezialinstrument hat man zuwege gebracht, die Kraft zu messen, die man braucht, um zwei Fasern auseinanderzureißen. Das Wissen um die spezifische Bindekraft ist ein wichtiger Parameter zur Simulation eines Fasernetzwerks.

Eine "absolute Cutting-Edge-Technologie, zu der man Spezialisten braucht" , sagt Schennach. An seinem eigenen Institut bringt der Oberflächenforscher die Infrarotspektroskopie "an die Grenzen" , um Einblicke in die Chemie der Faseroberfläche zu gewinnen, die Ausgangspunkt für das Verständnis von Verbindungsmechanismen ist.

Patentierte Nebenwirkungen

Die Initiative zu diesem zur Hälfte öffentlich (Wirtschaftsministerium, Nationalstiftung) und zur Hälfte von Wirtschaftspartnern finanzierten Projekt kam von Mondi Frantschach. Der Industriebetrieb will mit den Forschungsergebnissen die Produktion von Sackpapier optimieren, Lenzing stieß zweieinhalb Jahre nach dem 2007 gegründeten Labor dazu, und seit diesem Oktober ist auch das deutsche Unternehmen Kelheim Fibers dabei. Bei Mondi wurde aufgrund der Grundlagen-Forschung schon ein erster neuer Prozess implementiert, mit dem man eine Veränderung der Festikeit erreicht. Die Zugabe einer bestimmten Zelluloseart wurde so in die Produktion integriert, dass sie an den Faseroberflächen, wo sie gebraucht wird, haften bleibt.

Auf zwei Ergebnisse der Grundlagenforschung seines Teams ist Schennach besonders stolz: zwei Patentanmeldungen zu allgemeinen Analysemethoden, die nicht auf die Papierforschung beschränkt sind, sondern in vielen Bereichen eingesetzt werden können. Für ihn sind sie Beweise für die Wichtigkeit interdisziplinärer Grundlagenforschung: "Wenn wir uns nur auf angewandte Forschung konzentriert hätten, wären wir nie daraufgekommen." (Alois Pumhösel/DER STANDARD, Printausgabe, 3. 11. 2010)