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Der Aufschwung ist für die deutschen Wirtschaftsweisen noch nicht stabil.

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Berlin - Die fünf sogenannten Wirtschaftsweisen sehen Deutschland auf einem stabilen, wenngleich an Tempo verlierenden Wachstumskurs. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) werde in diesen Jahr voraussichtlich um 3,7 Prozent, im kommenden Jahr um 2,2 Prozent wachsen, sagte der Vorsitzende des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR), Wolfgang Franz, am Mittwoch in Berlin. Die überdurchschnittlich starke und schnelle Erholung nach der Krise sei zu gleichen Teilen durch eine lebhafte Binnennachfrage und starke außenwirtschaftliche Impulse bedingt. Dieses Gewicht werde sich im kommenden Jahr aber deutlich zugunsten einer hohen Nachfrage nach Konsum- und Investitionsgütern im Inland verschieben. Das Vorkrisenniveau werde aller Voraussicht nach bereits Ende 2011 erreicht sein.

Im Zuge der wirtschaftlichen Erholung sei die Zahl der registrierten Arbeitslosen im laufenden Jahr um 178.000 gesunken, die Zahl der Erwerbstätigen um 196.000 gestiegen, hieß es. Die Entwicklung verteile sich gleichmäßig auf West- und Ostdeutschland. Die Verbraucher müssen sich aus Sicht der Experten auf einen moderaten Anstieg der Lebenshaltungskosten einstellen. Die Teuerungsrate liege in diesem Jahr bei 1,1 Prozent, 2011 werde sie Schätzungen zufolge 1,4 Prozent betragen.

Keine Entwarnung

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte: "Wir freuen uns, dass die Lage so sehr viel besser aussieht als im vergangenen Jahr." Das Wachstum sei zwar nicht "überbordend", aber dennoch "stark ausgeprägt". Die deutsche Regierung hatte in ihrem Herbstgutachten einen BIP-Anstieg von 3,4 Prozent für 2010 vorausgesagt, 2011 erwartet sie ein Plus von 1,8 Prozent. Trotz der erfreulichen Entwicklung gelte es, weiter an Reformen zu arbeiten, sagte die Kanzlerin.

Auch der deutsche Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) warnte davor, sich auf den Erfolgen auszuruhen. "Wir dürfen die Flexibilität des Arbeitsmarktes, die entscheidend zum aktuellen Beschäftigungsaufschwung beiträgt, nicht zurückdrehen", sagte er. Gesetzliche Mindestlöhne seien kontraproduktiv für Wachstum und Beschäftigung.

Den Wirtschaftsweisen zufolge ist der aktuelle Aufschwung vor allem durch die Reformpolitik der vorherigen Regierungen geprägt. So habe die Einführung des Arbeitslosengelds II vor fünf Jahren merklich zu einem Anstieg der Beschäftigung beigetragen. Weitere Weichenstellungen seien mit der Rente mit 67 und der Senkung des Spitzensteuersatzes bei Unternehmen erfolgt. Die Schuldenbremse und der damit verbundene Defizitabbau seien darüber hinaus keine Hindernisse auf dem Weg aus der Rezession. Vielmehr habe die im internationalen Vergleich solide Lage der öffentlichen Haushalte die Attraktivität deutscher Staatsanleihen gesteigert.

Risiken bleiben

Die Möglichkeit von Rückschlägen schätzen die Wissenschafter trotz der positiven Entwicklung als nicht gering ein. Großen Risiken sei vor allem die hohe Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen ausgesetzt. Dazu zählten eine nachlassende Nachfrage hauptsächlich in den Ländern des Euro-Raums aufgrund der teils harten Konsolidierungspolitik und einer konjunkturellen Schwäche. Daneben seien unerwartete Schocks auf den Finanzmärkten nicht auszuschließen. Ein weiterer Rückschlag drohe durch den vielerorts prophezeiten "Währungskrieg", infolge dessen der Wert des Euros merklich steigen könne.

Die deutsche Regierung müsse sich daher auf drei wesentliche Aufgaben konzentrieren, sagte Ratschef Franz. Erstens gelte es, zukunftsträchtige Regeln für den Euro-Raum aufzustellen, um die zurückliegende Krise zu überwinden. Daneben stehe die Reform der nationalen und internationalen Finanzmarktarchitektur wie die weitere Konsolidierung der öffentlichen Haushalte an. Steuererleichterungen seien vor diesem Hintergrund nicht sinnvoll.

Auch die Wirtschaftsverbände forderten Reformen. "Den aktuell guten Wirtschafts- und Beschäftigungsaussichten zum Trotz harren große Reformbaustellen der dringenden Bearbeitung", sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Martin Wansleben. Die fünf Weisen hätten wichtige Projekte angemahnt. "Zudem muss Deutschland bei der Finanzierung der Krankenversicherung den Weg zu lohnunabhängigen, pauschalen Prämien beschreiten", sagte er.

"Breit angelegte Wachstumsstrategie"

Der Bundesverband deutscher Banken (BdB) forderte "jetzt eine breit angelegte Wachstumsstrategie, um den aktuellen Aufschwung stabil und nachhaltig gestalten zu können". Bestandteile müssten neben der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte auch ein stabiles Währungssystem in Europa und ein robustes internationales Finanzsystem sein, erklärte BdB-Hauptgeschäftsführer Michael Kemmer.

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) begrüßten die Empfehlung der fünf Weisen, den Kurs produktivitätsorientierter Lohnabschlüsse fortzusetzen, um das Wachstum zu stabilisieren. "Dabei muss beachtet werden, dass sich die Wirtschaft derzeit im Aufstieg aus einem tiefen Tal befindet", betonten die Verbände.

Der DGB kritisierte Teile der Ausführungen der Sachverständigen. "Der Boom hat nichts mit den rot-grünen Arbeitsmarktreformen zu tun", sagte DGB-Vorstandsmitglied Claus Matecki. Vielmehr hätten sie "maßgeblich zu wachsender Armut und damit zur Schwächung der binnenwirtschaftlichen Wachstumskräfte geführt". Es sei daher umso absurder, dass die Sachverständigen diese Fehlentwicklungen weiter fortsetzen wollen. (APA)