Der Türkische Botschafter in Wien hat Grenzen überschritten: Er hat seine Privatmeinung zur diplomatischen Sache gemacht. Manche finden das „erfrischend" - wie etwa der außenpolitische Sprecher der Grünen, Alexander Van der Bellen. Man mag es auch „erfrischend" finden, wenn ein Opernsänger falsch singt oder eine Unternehmerin falsch bilanziert - professionell ist es nicht.

Alles nicht neu

Die Empörung der Regierungsspitze war absehbar, es wäre wohl verwunderlich, würde sie sich die frontalen Angriffe auf ihre Mitglieder gefallen lassen. Und selbstverständlich spricht Kadri Ecved Tezcan Wahres an: Die Mehrheitsbevölkerung sei zu wenig interessiert an ihren türkischen Mitmenschen, die Integrationsagenden seien im Innenministerium schlecht aufgehoben, und dass türkischstämmige Eltern Töchter mit 13 Jahren aus der Schule nehmen, sei „ein Problem". Aber das ist alles nichts Neues. 

Neu ist vielmehr, mit welcher Arroganz ein türkischer Botschafter auch seinen eigenen Landsleuten gegenüber auftritt. Er stellt sich über jene Türken und Türkinnen hinweg, die in gutem Kontakt mit ihrer Umgebung leben, hier längst Wurzeln geschlagen haben, sich bemühen, das Etikett „MigrantIn" loszuwerden. Sie werden von ihrem Botschafter auf das zurückgeworfen, was sie nicht sein wollen: „die Türken", fremde Elemente im Land.

"Unser Islam?"

Neu und zutiefst verstörend ist auch, dass der Botschafter eines laizistischen Staates von „unserer Philosophie im Islam" spricht. Wen vertritt Herr Tezcan hier? Was ist mit den nichtgläubigen, andersgläubigen (Austro-)TürkInnen, welche Ausprägung des Islam meint er überhaupt?

Am irritierendsten ist Tezcans Aussage, er wisse, „was meine Leute wollen". Mit diesem konstruierten Bild des einen, uniformen (muslimischen) türkischen Charakters entzieht er seinem, zuvor im selben Interview geäußerten, Plädoyer für eine offene, tolerante Gesellschaft jede Glaubwürdigkeit. Mehr noch: Er passt sich damit in seiner Argumentationslinie blendend jenen politischen Figuren an, die er am schärfsten angreift: Angela Merkel, Heinz-Christian Strache und Maria Fekter. Sie alle haben, in unterschiedlichen Ausformungen, das Bild der sarrazinschen Blöcke-Einteilung transportiert. 

Besser privat

Meinte Kadri Ecved Tezcan seine Selbstbeschreibung, „Botschafter von 250.000 Menschen, die in diesem Land leben", wirklich ernst, dann wäre seine Meinung das geblieben, was sie ist: privat. „Erfrischung" war noch nie eine demokratiepolitische Kategorie. (Maria Sterkl, derStandard.at, 10.11.2010)