Trickys Bühnenoutfit: Schuhe, eineinhalb Hosen und ein Mikrofon. Der Rest ist Charisma.

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Wien - Wer Popmusik einfache Vergnügungen vorwirft, hat ihr Wesen nicht verstanden. Tricky kennt sich aber aus, weshalb er auf seiner aktuellen Tour zwecks Hebung der Stimmung eine Coverversion des Motörhead-Klassikers Ace Of Spades einbaut. Dazu holte er am Dienstag bei seinem Auftritt in der Wiener Arena 30, 40 Leute aus dem Publikum auf die Bühne und schmiss eine Party.

Während Lemmy, das singende Whiskey-Fass von Motörhead, sein Stück standesgemäß brüllt, keuchte es Tricky. Auch standesgemäß. Denn schroffe gutturale Laute, halb verschluckte, halb gegurgelte Silben, transportiert von schwerem Asthma, zählen zu den Merkmalen des Musikers aus dem englischen Bristol. Weshalb er versuchte, sich den schmerzhaften Atemweg zu sparen und sich das Mikrofon immer wieder gegen den Solarplexus drückte: Gesang als akustisches Lungenröntgen mit dramatischem Befund.

Als der US-amerikanische Autor Frank McCourt in seinem Weltbestseller Angela's Ashes (Die Asche meiner Mutter) Mitte der 1990er-Jahre schrieb, dass sich eine glückliche Kindheit ja gar nicht lohne, tauchte zeitgleich Adrian Thaws alias Tricky auf - wie um McCourts These zu untermauern. Der Musiker, der seinen Vater nie kennenlernte und dessen Mutter den Freitod suchte, als er vier war, revolutionierte damals mit düsteren Sound- und Rhythmus-Pattern die Popmusik. Dazu erzählte er im Sprechgesang Geschichten, die in fröhlichen Kinder- und Jugendzimmern nicht geschrieben werden.

TripHop nannte man diese Musik. Doch während die meisten Trittbrettfahrer diesen Sound rasant in Richtung Downtempo, Lulu-Jazz und Modemusik für Perlenkettenträgerinnen mit Caffè-Latte-Schwäche ausdünnten, bohrte Tricky weiter in Richtung Herz der Finsternis.

Fingerübung 

15 Jahre nach diesem schleichenden Urknall namens Maxinquaye veröffentlichte der Charismatiker heuer das Album Mixed Race, das wie eine etwas unausgegorene Fingerübung wirkt. Immerhin war es Anlass, den in Los Angeles lebenden Musiker mit seiner fünfköpfigen Band wieder einmal an die Donau zu bringen.

Leger bekleidet, geil durchtrainiert, lichtscheu, halb Reptil, halb Mensch - so tänzelte er wie ein Schattenboxer durch Auszüge seines Gesamtwerks. Doch selten erzeugte die Band genug Druck, um zu betören. War dieser einmal erzeugt, nahm Tricky das Tempo wieder raus, verräumte Stücke unfertig und skizzenhaft.

Das passte zwar zur Hausmarke, beeindruckte aber nur mäßig. Erst nach eingangs erwähntem Party-Schmäh gewann die Darbietung an Fahrt. Wobei Tricky auch dann Hänger in Kauf nahm, die erste Stimme der zweiten Sängerin überließ, was das Stück UK Jamaican - eine fast deckungsgleiche Deutung von Terry Lynns Kingstonlogic - unter Wert verkaufte.

Tricky suchte derweil Körperkontakt mit dem Publikum und fand sich erst wieder für den Song Vent am Arbeitsplatz ein. Diese Eröffnungsnummer seines zweiten Albums Pre-Millennium Tension verdeutlichte dann den Qualitätsunterschied zwischen Tricky alt und Tricky aktuell.

Wo früher Gefahr und Verunsicherung wie Glutnester lauerten, reicht er heute einfältige Samples und, gemessen an seinen Möglichkeiten, Ausschussware. Ein Eindruck, den das Konzert zu selten vergessen ließ. (Karl Fluch / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 11.11.2010)