David Ellensohn bei einer Gemeinderatssitzung im September. Er wird den grünen Klub in der kommenden Legislaturperiode als Klubobmann anführen.

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David Ellensohn war sechs Jahre lang nicht-amtsführender Stadtrat. In der kommenden Legislaturperiode wird er die Wiener Grünen im Gemeinderat als Klubobmann anführen. Direkt nach der Präsentation des Koalitionspaktes von Michael Häupl und Maria Vassilakou sprach er mit derStandard.at über die Eckpunkte des Koalitionsübereinkommens.

derStandard.at: Im Regierungsübereinkommen wird einer der Schwerpunkte auf Integration gesetzt. Es soll eine Charta des Zusammenlebens für Wien geben. Was kann man sich darunter vorstellen?

Ellensohn: Im Selbstverständnis der Grünen ist jeder, der in Wien wohnt, Wiener – alle außer den Touristinnen und Touristen. Jetzt fangen wir an uns zu überlegen, wie wir dieses Zusammenleben organisieren können. Dafür brauchen wir ein gemeinsames Bewußtsein. Um dieses zu schaffen benötigt es viele kleine Schritte, da geht es um Bildungspolitik – vom Kindergarten bis zur Schulsozialarbeit – und um den Sprachenerwerb. Vielleicht lernen wir alle, dass Mehrsprachigkeit ein Vorteil ist und nicht ein Problem. Jeder der mehr als eine Sprache kann hat einen Pluspunkt.

All das soll am Schluß in einen „Wiener Vertrag" einfließen. Der gilt nicht nur für Menschen aus anderen Ländern – wie beispielsweise meine Mutter – sondern auch für Leute wie mich, die aus Vorarlberg nach Wien ziehen. Ich war nicht immer ein Wiener.

derStandard.at: Wird dies ein formeller Vertrag sein, oder wie kann man sich das vorstellen?

Ellensohn: Wir müssen das noch fertig machen, so exakt haben wir das nicht ausgearbeitet. Es wird sicher kein rechtlich einklagbarer Vertrag sein, sondern ein Bekenntnis zur Stadt und es ist umgekehrt ein Bekenntnis der Stadt zu sagen: „Ja, du gehörst hier dazu". Das müssen wir lernen, dass die Vielfalt da draußen Wien ist. Die Leute die wir mögen und die wir nicht mögen, unsere Freunde und unsere Verwandten. Wir müssen alle zusammen diese Stadt organisieren. Das kann man besser machen als bisher. Ich bin froh, dass wir eine rot-grüne Regierung haben, die genau das Gegenteil von dem machen wird, was Blau-Schwarz früher gemacht hat. Da geht es nicht darum Ängste zu schüren, nicht um Hass aufzubauen, sondern um das Gegenteil.

derStandard.at: Will man so der Politik der FPÖ entgegenwirken?

Ellensohn: Wir konzentrieren uns nicht auf die Freiheitlichen. Die machen ja nicht wirklich Politik, die machen mehr Lärm. Sie schüren Ängste, befördern Unsicherheiten. Zukunft baut man nicht mit Angst, sondern mit Ideen und Hoffnung. Von dem haben die Freiheitlichen nichts. Die Freiheitlichen spielen zum Glück keine Rolle in Wien. So wie sie aufgestellt sind, sind sie eine überflüssige Partei.

Wir müssen jedoch gemeinsam schauen, dass wir in Wien gut auskommen. Das geht leichter, wenn es den Leuten sozial besser geht, wenn die Leute Jobs haben, wenn die Leute qualitativ besser wohnen. In all diesen Bereichen setzen wir an.

derStandard.at: Im Regierungsübereinkommen ist auch die Rede von einem flächendeckenden Ausbau der Ganztagsschulen. Was kann man sich darunter vorstellen?

Ellensohn: Genau das. Die Sache muss man von vielen Seiten sehen: Was ist bildungspolitisch richtig, damit die Erfolge entsprechend sind, wie funktioniert es im Zusammenleben mit den Erziehungsberechtigten und was kostet das? Das schafft man nicht in einer Schule mit nur vier Stunden Unterricht, und in der man die Kinder in eine nichtsoleicht organisierbare Freizeit überlässt. Es wäre schön, wenn alle Familien die Freizeit organisieren könnten, können sie aber nicht.

Deswegen brauchen wir den Ausbau der Nachmittagsbetreuung. Das ist auch wichtig, damit der Anteil der Frauen, die arbeiten, höher wird. Das bekämpft Armut am meisten. Kinder in Familien, in denen beide Eltern arbeiten, sind natürlich signifikant seltener arm. Eine Alleinerzieherin, deren Kinder nicht den ganzen Tag in die Schule gehen können, hat es hier schwieriger. Deswegen landet jede zweite Alleinerzieherin in der Armutsfalle.

derStandard.at: Einer der Punkte, bei denen Bürgermeister Häupl öfters Redebedarf vermutet, ist der Individualverkehr. Wo sehen sie sonst noch Punkte, bei denen es in den kommenden fünf Jahren stärkeren Diskussionbedarf gibt?

Ellensohn: Ich glaube Bürgermeister Häupl hat das gut formuliert. Er hat sich aussuchen können ob er einen Regierungspartner hat, mit dem er über Bildungspolitik – und damit über die Zukunft der kommenden Generationen – streiten muss, oder ob man hin und wieder diskutiert über ein Straßenprojekt. Die Bildungspolitik in diesem Land ist deswegen hinten, weil die österreichischen Volkspartei seit Tag und Nacht blockiert.

Bei den Straßen geben wir zu, dass wir nicht immer einer Meinung sind. Deswegen haben wir ein paar Lösungen angedacht, und die heißen: Bevor wir uns jedes Mal bei einer Straßenkreuzung in die Haare bekommen, fragen wir die Menschen und die entscheiden. Das hat in der Vergangenheit bei den Garagen gut geklappt. Sonst sehe ich ideologisch wenige Unterschiede. Wir sind auch schnell zusammengekommen. Wir haben das Regierungsübereinkommen auch deswegen relativ zügig erarbeiten können, weil wir in vielen Fragen ähnliche Positionen haben. Ich sehe für die Koalition keine großen Stolpersteine.

derStandard.at: Bei der Untertunnelung der Lobau gibt es verschieden Auffassungen zwischen SPÖ und Grüne. Ist es überhaupt vorstellbar, dass eine grüne Stadträtin dieses Projekt weiterführt?

Ellensohn: Wir sehen das auch weiterhin nicht als notwendig an. Es braucht zunächst eine Umweltverträglichkeitsprüfung. Die zuständige Ministerin Doris Bures hat gesagt, dass dieses Projekt bis 2016 eigentlich auf Eis liegt, weil das Geld fehlt. Das hat mit dieser Legislaturperiode eigentlich nichts mehr zu tun. Es könnte also sein, dass es das Problem gar nicht gibt. Wir haben dann gesagt: Bei Problemen, die wir noch gar nicht haben, warten wir lieber. Wenn wir über jedes theoretische Problem reden müssen, dann werden wir nicht fertig.

derStandard.at: Sie haben jetzt auch öfters die Bundespolitik angesprochen. Welche Veränderungen erwarten sie hier durch Rot-Grün, zum Beispiel bei der Frage der Landeslehrer...

Ellensohn:... oder derZehn-Prozent-Grenze bei der Mittelschule. Die Sozialdemokratie – wie auch die ÖVP - ist dort wo sie in den Bundesländer regiert, auch nicht immer glücklich mit der Bundesregierung. Das war auch in der Vergangenheit nicht anders. Wien war über den Zehn-Prozent-Deckel schon nicht glücklich, bevor die Grünen da waren, jetzt sind wir halt gemeinsam nicht glücklich. Wieviel Einfluss das jetzt auf die Bundespolitik hat, ist schwer abzuschätzen. Die Sozialdemokratie hat das Richtige gemacht und eine neue Option aufgemacht. Bis jetzt gab es einen Koaltionspartner, die Volkspartei. Die ÖVP hat es weidlich ausgenützt und die Sozialdemokratie derartig oft über den Tischen gezogen, dass ich mich schon lange gewundert habe, wann sie endlich einmal auch überlegen was anderes zu machen. Österreich hat jetzt neue Optionen.

derStandard.at: Wie stehen sie zur Verländerung der Lehrer?

Ellensohn: Das klingt manchmal gut, weil dann hat man die ÖVP draußen und kann gescheite Bildungspolitik machen. Ich muss aber ehrlich sagen, auch wenn wir in Wien Rot-Grün abschließen, eigentlich hätte ich gerne für alle Kinder in Österreich die gleiche Bildungspolitik, am liebsten für alle Kinder auf der ganzen Welt. Wir fangen einmal in Wien an. Die Verländerung birgt viele Gefahren. Es gibt hierfür keine Vereinbarung. Wir sind bundesweit gegen die Verländerung, sammeln dagegen auch Unterschriften. Ich haben unterschrieben und bei der Position bleibe ich auch.

derStandard.at: Das 100-Euro-Ticket für den öffentlichen Verkehr war eine Wahlforderung der Grünen. Welche Entwicklung sehen sie hier? Daran wird man sie auch messen.

Ellensohn: Das war eine zentrale Forderung, keine Frage. Ich sage jedoch ganz klar, die 1-10-100-Forderung wird sich so 2011 und 2012 nicht umsetzen lassen. Das ist sehr kostenintensiv, das geht angesichts der leeren Kassen nicht. Angesichts anderer Schwerpunktsetzungen bei Sozialem und der Bildung – hier wird nicht gespart, sondern mehr Geld ausgegeben – haben wir nicht zusätzlich Geld um die Öffi Tarife zu verändern. Das ist sich nicht ausgegangen und das wollen wir auch niemandem mehr erzählen, dass sich das ausgeht.

Das was es gibt ist eine Task-Force, die die Tarife nach sozialen und ökologischen Kriterien untersucht. Dabei kann herauskommen, dass der eine Fahrschein günstiger und der andere Fahrschein teurer wird, vorher gibt es keine Erhöhung. Ein Beispiel, dass man leicht verstehen kann: Wenn ich 70 bin, brauche ich dann einen günstigeren Fahrschein? Oder muss der Herr Bürgermeister in 15 Jahren verbilligt Straßenbahn fahren können? Ich glaube nicht. (Sebastian Pumberger, derStandard.at, 12.11.2010)