"Während wir im Westen die Bäume zählen, meditieren die Leute im Osten vor dem Wald." Mit Bildern wie diesem bringt Fleur Sakura Wöss Unterschiede zwischen Okzident und Orient auf den Punkt. Wir würden eher darauf schauen, dass alles "funktioniert", sagt sie weiter, in der japanischen Tradition des Zen schaut man auf die Kraft und die Energie von innen.

Sie selber ist mit beiden Anschauungen vertraut. Wöss hatte Japanologie, Sanskrit und Buddhismuskunde studiert und als Uni-Professorin doziert, bevor sie sich entschloss, ihre Erfahrungen im Rahmen kleinerer intensiver Seminare weiterzugeben.

So auch kürzlich an einem Wochenende in ihrem Daishin-Zen-Zentrum in Wien-Alsergrund. Um "Auftritt, Präsenz und Zen" besser zu verstehen, sind sieben Teilnehmer zusammengekommen - bereit, an einem Samstag um halb sieben in der Früh buchstäblich auf der Matte zu sitzen.

Zen-Philosophie

Bevor es aber so weit ist, am ersten Abend, holen Fleur Wöss und ihr Ko-Trainer Paul Matusek weit aus. Denn es bedarf einiger Erklärungen, bevor man die Zen-Philosophie auch nur einigermaßen ahnen kann. (Bis man in die Tiefe gelangt, so Wöss, können mehrere Jahrzehnte vergehen.) Also spricht sie vom Hara, etwas unterhalb des Nabels, im Zen als Sitz der Lebensenergie angesehen. Diese Energie könne man durch intensive und lange Atemübungen erfahren, aufrechtes Sitzen und ständige Konzentration auf die Körpermitte würden den Zugang dazu ermöglichen.

Die Teilnehmer sollen also die Tricks, wie ihr Auftritt im Berufsleben am besten "funktioniert", vergessen und stattdessen auf die innere Ruhe achten. Zu diesem Zweck führt Wöss zwei scheinbar widersprüchliche visuelle Darbietungen ein. Zum einen zeigt sie Ausschnitte aus einem japanischen No-Theaterstück; die Darsteller spielen mit minimalen, sehr genauen Gesten, ihre Gesichter sind von Masken verdeckt, ihre Oberkörper völlig ruhig - dennoch ist zu spüren, wie sie die Bühne füllen.

Zum anderen lässt sie die angehenden Meditationsschüler einen Vortrag über einen wichtigen Wendepunkt in ihrem Leben halten und zeichnet ihn auf Video auf. Sie wird darauf zurückkommen. Davor aber sollen mehrere Übungen den jeweiligen Zugang zum öffentlichen Auftreten besser verstehen helfen.

Mehr Bodenhaftung

Wobei "Verstehen" nur die halbe Wahrheit ist oder vielleicht sogar weniger. Denn über den Kopf, so ist Wöss überzeugt, lässt sich das Gespür für den Augenblick nicht erlernen. Wir seien gewohnt, dauernd zu kategorisieren und mit schon Bekanntem zu vergleichen. Das aber gelte es zu vergessen und darauf zu vertrauen, dass es sich "ganz von alleine denkt".

Nun wird es schwierig. In den ersten Meditationsübungen in großer Stille merken die Zen-Adepten, wie ungewohnt es ist, sich auf den eigenen Atem zu konzentrieren. "Zen-Training heißt, in den Augenblick zu kommen." Das dauert länger als ein Wochenende, zumal auch anderes auf dem Programm steht. Durch Bewegungsübungen bekommen die Teilnehmer ein Gespür für den Raum und sich selbst in ihm; sie erfahren, was "Bodenhaftung" bedeuten kann - nämlich eine Verwurzeltheit, über die wir alltäglich hinweghuschen, die aber von Bedeutung ist, wenn es um den "Auf-Tritt" geht.

Damit kommt das Seminar zum Ausgangspunkt und Titelthema zurück: Wie gelangen wir zu einer Präsenz, die von innen kommt und nach außen wirkt? Wöss zeigt die Videos, macht sanft, aber bestimmt auf fehlende Energie, auf offensichtliche Dekonzentration aufmerksam. Ein zweiter Durchgang mit dem gleichen Vortragsthema gibt jedem Gelegenheit, das bisher Gelernte anzuwenden, den (natürlich subjektiven) Rückmeldungen nach mit Erfolg. Ein erster Schritt wäre mit diesem "Zen light" getan, für weitere steht das Daishin-Zentrum offen. (Michael Freund/DER STANDARD; Printausgabe, 13./14.11.2010)