Referentinnen und Diskutierende der Konferenz (vlnr): Tina Gabriel, Angela Schwarz, Sandra Frauenberger, Charlotte Aykler, Constance Ohms.

Foto: Stadt Wien/Alexandra Kromus

Gewalt in lesbischen oder schwulen Beziehungen ist ein tabuisiertes Thema. Es wird weder in der LGBT (Lesbian, Gay, Bi, Trans/) Subkultur thematisiert, noch hat diese Tatsache Eingang in die allgemeine Debatte um häusliche Gewalt gefunden. Am Dienstag wurde bei der Fachkonferenz "Tabu2 - Gewalt in gleichgeschlechtlichen Beziehungen" im Wiener Rathaus ein Versuch unternommen, dieses Thema zu enttabuisieren.

Angela Schwarz von der Wiener Antidiskriminierungsstelle für gleichgeschlechtliche Lebensweisen (WASt) und Sandra Frauenberger haben zu dieser Fachtagung geladen. Gekommen sind die deutsche Soziologin Constance Ohms, die sich seit vielen Jahren wissenschaftlich mit Gewalt in lesbischen Beziehungen befasst. Helga Pankratz von der HOSI-Wien, Karin Schönpflug vom Beratungsprojekt "Lila-Tipp" der Rosa-Lila-Villa sowie Johannes Wahala von Courage berichteten über Beratungs- und Aufklärungserfahrungen in diesem scheinbar unantastbaren Feld. Die Rolle der Polizei bei Intervention und Prävention häuslicher Gewalt in homosexuellen Beziehungen schilderte Christina Gabriel, tätig beim Opferschutz der Polizei. Wie Gewaltschutzeinrichtungen mit lesbischen Frauen umgehen, erörterte Charlotte Aykler vom Gewaltschutzzentrum Niederösterreich.

"Schwierig und tabuisiert"

Die Stadträtin, zuständig unter anderem für Anti-Diskriminierungsarbeit gleichgeschlechtlich l(i)ebender Menschen, machte in ihrer Eröffnungsrede deutlich, dass "Gewalt grundsätzlich ein schwieriges und tabuisiertes Thema" ist. Diversität im öffentlichen Bereich zu fördern, Maßnahmen gegen Homo- und Transphobie zu setzen, Fördermodelle für NGOs in diesem Bereich voranzutreiben und Druck auf die Bundesregierung für die absolute Gleichstellung von LGBT auszuüben, haben sich SPÖ und Grüne in ihrem jüngsten Pakt auf die Fahnen geheftet. Auch sollen die Ergebnisse der Fachtagung Tabu2, so Frauenberger, "Eingang in meine Agenden finden".

Lesben in heterosexuellen Strukturen

Die gesellschaftliche Wahrnehmung von Frauen als gewaltlose Wesen und die Zuordnung von Frauen zu Männern mittels Heterosexualität als einzig richtige und gesellschaftlich akzeptierte Ausrichtung hat bedeutsame Auswirkungen auf lesbische Frauen, wie Ohms zu berichten weiß. Lesben entsprechen weder dem Geschlechterrollenstereotyp noch verhalten sie sich kongruent zur Normsetzung der Heterosexualität, charakterisiert sie. Der Feminismus der 70er Jahre war geprägt von der Analyse hegemonialer Verhältnisse. Frauen wurden als Opfer und Männer als Täter schubladisiert. Lesbische Frauen, die Gewalt in ihrer Beziehung erfahren, werden mehrfach diskriminiert und marginalisiert. Im Regelfall können sich lesbische Opfer häuslicher Gewalt nämlich nicht an Opfereinrichtungen wenden, ohne das Risiko einer Re-Viktimisierung einzugehen. Das Gleiche gilt für Lesben, die Gewalt verüben. Täterinnen brechen nicht nur mit dem Stereotyp der gewaltlosen Frau, sondern widersprechen der Maxime der Heterosexualität, berichtete die Soziologin.

Sie kritisierte, dass sich Interventionsstellen infolgedessen auf gewalttätige Männer und eine sich passiv verhaltende, gewaltlose Frau ausgerichtet haben. Auch die politische Lesbenbewegung hat das Bild des gewalttätigen Mannes bestärkt, indem Liebesbeziehungen zwischen Frauen romantisiert wurden. In ihrer Studie zu Gewalt in lesbischen Beziehungen unterscheidet Ohms verschiedene Gewaltdynamiken, die allesamt in unterschiedlichem Ausmaß von Angst getragen werden, aber nicht automatisch mit physischer Gewalt einhergehen müssen. Die Soziologin gibt zu bedenken, dass lesbische Frauen fast immer Gewalterfahrungen in eine Beziehung mitbringen - etwa durch heteronormativ gesamtgesellschaftliche Verhältnisse, denen sie ihr Leben lang ausgesetzt sind.

"Große Herausforderung für Beratungstätigkeit"

Immer wieder wurde von den Tabu2-ReferentInnen herausgestrichen, dass Gewalt in gleichgeschlechtlichen PartnerInnenschaften auch in der LGBT-Community zu wenig auf das Tapet gebracht wird. In der Community, führte Charlotte Aykler aus, bestehe die Angst, durch dieses Thema noch weiter an den gesellschaftlichen Rand gedrängt und mit weiteren Stigmata besetzt zu werden.

Für das Gewaltschutzzentrum Niederösterreich ist Gewalt in homosexuellen Beziehungen eine ambivalente Angelegenheit: Sie müssen an die Opfer männlicher Gewalt denken, weil diese die Mehrheit darstellen. Das Institut für Lesben offiziell zu öffnen, sei fast nicht leistbar. "Wir haben Angst, dass die Mehrheit der Gewaltopfer, nämlich Frauen in heterosexuellen Beziehungen, dann nicht mehr zu uns kommt", sagte Aykler. Gleichgeschlechtliche Paare tauchen im Gewaltschutzzentrum so gut wie nicht auf. In den letzten Jahren hatte Aykler lediglich zwei Fälle lesbischer Gewalt in ihrer Einrichtung. Dennoch sei es wichtig, die Enttabuisierung dieses Themas voranzutreiben und Institutionen für Homosexuelle zu öffnen. Gewalt in homosexuellen Beziehungen und die Hilfe für TäterInnen und Opfer sieht Aykler als eine "der großen Herausforderungen in der Beratungstätigkeit".

Obwohl Gewalt in homosexuellen Beziehungen aus dem öffentlichen Bewusstsein ausgeschaltet ist, haben es sich - trotz Kritik innerhalb der Community - einige Einrichtungen schon längst auf die Fahnen geheftet. Auf politischer Ebene befasst sich die WASt bereits seit 1999 mit diesem Tabuthema, wenn auch nicht immer gleich intensiv, berichtete Angela Schwarz. Karin Schönpflug schilderte, in welchem Ausmaß ehrenamtliche BeraterInnen in der Rosa-Lila-Villa mit Gewalterfahrungen in gleichgeschlechtlichen PartnerInnenschaften, aber auch mit homophober Gewalt, konfrontiert werden. Beide haben in mehreren EU-Projekten zu diesem Thema gearbeitet.

Courage

Eine Beratungseinrichtung für gleichgeschlechtlich L(i)ebende, die sich seit ihrer Gründung vor zehn Jahren explizit mit Gewalt in homosexuellen Beziehungen auseinandersetzt, ist die Courage. Der Leiter der Einrichtung, Johannes Wahala, zeichnet die der Courage entgegengebrachten Ressentiments der LGBT-Community nach: "Sie hatten Angst um ihr Ansehen, um den Fortschritt der Gleichstellung. Sie wollten gesellschaftliche Anerkennung und kein weiteres Element der Stigmatisierung", so der Psychotherapeut. Die Courage-BeraterInnen stoßen immer wieder auf das Phänomen, dass "Lesben und Schwule Gewalt so sehr verinnerlicht haben, weil sie dieser massiv ausgesetzt sind. Homosexuelle erfahren viele 'Mini-Traumata' die zu einem großen Trauma werden können. Aus diesem Grund gibt es eine hohe Gewaltakzeptanz, weil sie alltäglich ist", verdeutlicht er. Das Beratungsaufkommen bezüglich Gewalt bei Courage beträgt acht Prozent, wobei in dieser Statistik nicht zwischen häuslicher und homophober Gewalt unterschieden wird.

Allgemeiner und spezifischer Anspruch

Die bei der Schlussdiskussion vorgebrachten Forderungen der Fachleute betreffen Änderungen sowohl gesamtgesellschaftlicher Art als auch innerhalb der LGBT-Subkultur. Die Notwendigkeit, das Antidiskriminierungsgesetz bundesweit zu installieren, wird etwa genannt. Aufklärungs- und Bildungsarbeit zu Homosexualität muss Gewalt als solche benennen, nur dann könne diese auch zur Realität in Beratungseinrichtungen werden, meinte Wahala. Nachvollziehbar dann das Verlangen von Ohms und Wahala, Gewalt in homosexuellen Beziehungen auch innerhalb der Community zu thematisieren. Constance Ohms setzt ferner auf Zielgruppen-Kampagnen und eine gleichzeitige Etablierung von Strukturen, um die Beratungsnachfrage folglich bewältigen zu können. Simultan müssen aber "Denkweisen und Strukturen der Frauenbewegung aus den 70er Jahren hinterfragt und neu strukturiert werden", klagt Ohms ein. In das gleiche Horn bläst Karin Schönpflug von Lila-Tipp: "Der Rahmen muss von uns mit erfunden werden, weil es ihn noch nicht gibt". (Sandra Ernst-Kaiser, dieStandard.at 18.11.2010)