Chorherr: "Der Fahrradfahrer ist nicht per se der bessere Mensch."

Foto: Grüne Wien/Keinrath

Der grüne Gemeinderat Christoph Chorherr wird in der neuen Wiener Stadtregierung eine wichtige Rolle spielen - sind doch seine politischen Schwerpunkte die, die Maria Vassilakou jetzt als Stadträtin verantwortet: Planung,Energie und Verkehr. Was mit dem Wiener Radwegenetz nicht stimmt, wieso Carsharing forciert werden sollte und wie kommunale Demokratie funktionieren kann, darüber sprach Chorherr mit derStandard.at. Die Fragen stellte Anita Zielina.

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derStandard.at: Warum haben die Autofahrer solche Angst vor Rot-Grün?

Chorherr: Das Auto ist viel mehr als ein Transportmittel. Die Identifikation mit dem Auto ist bei manchen extrem hoch. Das zeigt sich schon daran, wie wir zum Beispiel auf der Straße in Wien ganz selbstverständlich hinnehmen wie viel Platz Autos haben und wie wenig Kinder. Man würde niemand anderem einräumen, unseren Lebensraum derartig zu verstinken und zu beeinträchtigen als man es dem Autoverkehr zugesteht.

Natürlich sind die Grünen eindeutig in ihrer Ausrichtung, das weiß auch jeder: Mehr Platz für Menschen, Kinder, Grünraum, weniger für Autos. Da geht es um eine grundlegende kulturelle Auseinandersetzung. Es gibt eine Gruppe, die jede Einschränkung als Angriff auf ihre Identität sieht - und diese kulturelle Debatte werden wir führen müssen.

derStandard.at: Wie schwer wird es sein mit einer arrivierten Partei wie der SPÖ Politik zu machen, die jahrelang ihre Verkehrspolitik in Wien gefahren ist?

Chorherr: Nun, wir sind ja noch nicht einmal angelobt. Aber ich glaube die große Chance ist, dass es DIE SPÖ nicht gibt. Man sieht ja, dass die SPÖ auch vielfältig ist, teilweise sehr wohl offen für Neues. Ich bin da optimistisch. Ich kann mich noch erinnern, wie ich mit meinem Vater auf der Kärntnerstraße gestaut bin und am Graben Parkplatz gesucht habe, und ich kann mich an die Auseinandersetzung um die Fußgängerzone erinnern, an den Aufruhr, dass Straßen für Fußgänger geöffnet werden. Heute kann man sich das gar nicht mehr vorstellen. Deshalb bin ich zuversichtlich: Jede Fußgängerzone, jede Verkehrsberuhigung, die nicht gegen jemanden gerichtet ist, sondern zwar Veränderung mit sich bringt, aber im Endeffekt eine Befreiung für Verkehrsteilnehmer, wird funktionieren. Auch die Anzahl der Autos ist ein Punkt: In Manhattan etwa haben 80 Prozent der Einwohner kein Auto, viele nehmen an intelligenten Mitfahrprojekten teil.

derStandard.at: So etwas wie Car-Sharing?

Chorherr: Das wird eines unserer ersten Projekte sein. Wir sind bereits in Gesprächen mit Bauträgern über die Ausdehnung autofreier Bereiche und Bikecitys. Im zweiten Bezirk ist eine zweite Bikecity in Bau. Durch eine radikal reduzierte Stellplatzverpflichtung für PKW wird viel Geld gespart, das dann wiederum zum Wohl der Bewohner für andere Infrastruktur ausgegeben wird. Mein großes nächstes Projekt heißt „Bike, swim and drive" - dort gibt es noch viel weniger Stellplätze, und dafür werden von Mietautofirmen oder Carsharing-Organisationen mit dem eingesparten Geld auf einigen der Stellplätze verschiedene Autos angeboten, die man als Anrainer nützen kann.

derStandard.at: Auch Radfahrer sind mit ihrem Fahrgerät oft emotional verbunden. Was soll sich in dem Bereich tun?

Chorherr: Es gibt viele Konflikte aus einer falschen Radverkehrsplanung heraus. Wenn man die schwächsten Teilnehmer auf engstem Raum zusammenfasst, also Fußgänger und Radfahrer wie etwa am Rad-Ring-Rundweg oder bei abmarkierten Gehsteigen, dann darf man sich nicht wundern, wenn es Konflikte gibt. Ich hoffe, dass wir mit der Eröffnung der Fahrradsaison im kommenden Jahr bereits erste Schritte setzen können, um im Bereich Fahrradwege und Fahrradkorridore etwas zu verändern.

Es geht auch viel um das Miteinander, auch um Disziplin. Ja, es gibt auch Fahrradrowdys! Der Fahrradfahrer ist nicht per se der bessere Mensch. So wie manchmal, das sag ich bewusst, arme Fußgänger erschreckt werden, so geht man nicht miteinander um. Dennoch: Die einzige Möglichkeit zur Erhöhung der Verkehrssicherheit für alle ist die Erhöhung des Radfahreranteils. Und wenn wir den, wie im Regierungsübereinkommen geschrieben, verdoppeln wollen, dann ist die derzeitige Radwegeinfrastruktur völlig überlastet. Da geht es nicht vorrangig darum, weitere Straßen aufzuteilen zwischen Fußgängern, Autofahrern und Radlern, sondern um eine grundlegend andere Aufteilung des öffentlichen Raums zu Gunsten der nicht motorisierten Verkehrsteilnehmer. Aber mir ist klar, dass das eine sehr emotionale Auseinandersetzung wird. Nichts wird so verbissen verteidigt wie Parkplätze.

derStandard.at: Wird es einen Radfahrbeauftragten geben?

Chorherr: Ja selbstverständlich, das haben wir ja vereinbart. Der Arbeitstitel in den Gespräch war der „Rad-Obama", also jemand der voll auf Kommunikation ausgerichtet ist, auch mit Web 2.0-Ressourcen. Es gibt zehntausende Radfahrer, die mitreden wollen. Und es geht darum die Radfahrkultur - die ja viel im Kopf stattfindet und nicht nur auf markierten Radwegen - weiterzuentwickeln und zu leben. Auch die Radfahrabteilung im Magistrat soll entsprechend ausgebaut und aufgewertet werden.

derStandard.at: Wer könnte Radfahrbeauftragter werden?

Chorherr: Wir haben da niemanden im Kopf, es wird eine Ausschreibung geben und der oder die Beste wird den Job bekommen.

derStandard.at: Nicht nur beim Thema Radfahren geht es viel um Kommunikation, um Mitbestimmung. Wie viel Mitbestimmung sollte man den Wienern ermöglichen?

Chorherr: Das hat zwei Aspekte. Der eine, ein sehr grundsätzlicher, ist eine öffentliche Debatte über den Zustand unserer Demokratie die wir führen wollen und müssen. Demokratie ist in Österreich nicht gerade auf dem aufsteigenden Ast, und wenn es eine Ebene gibt, die sich politisch grundlegend erneuern kann und demokratischer werden kann, dann ist es die Kommunalpolitik. Jetzt geht es darum neue Formen der Mitbestimmung einmal zu diskutieren, von der Planung bis zum Verkehr.

Das heißt nicht immer zwingend Volksbefragung. Ein Beispiel: Oft machen sich Proteste an neuen Bauvorhaben am fertigen Projekt, an der Architektur fest. Warum kann man nicht Ausschreibungen transparent machen, warum nicht in Wettbewerben auch die Anrainer mitreden lassen? Meinetwegen auch ohne Stimmrecht, damit klar wird: Die Fachleute werden das bestimmen, aber die Bürger dürfen mitreden. Auch Rot-Grün muss wissen: Die Zeit ist vorbei, in der sich die Menschen unreflektiert beglücken lassen. Wir müssen erklären was wir tun. Ich würde davor warnen, von oben herab beglückend zu wirken, das ist ein sozialdemokratisches Konzept, und da würden wir fürchterlich eines auf die Nase bekommen.

derStandard.at: Was ist Ihr „Leuchtturmprojekt" bei Rot-Grün? Einige haben ja bemängelt, dass es keines gäbe.

Chorherr: Wenn ich in Wien in einem Jahr immer noch das Gefühl habe, da tut sich was, da geht was weiter, da verändert sich was - das ist mein Leuchtturmprojekt. Fatal wäre, wenn wir uns jetzt zu Tode administrieren und in Verwaltungsarbeit versinken. Da soll und muss es knirschen, und es muss öffentliche Debatten geben.

derStandard.at: Was wäre das Schlimmste, was die Grünen jetzt falsch machen könnten?

Chorherr: Ich fürchte wir können wahnsinnig viel falsch machen, und es wäre arrogant zu vermuten, wir würden nicht auch einiges falsch machen. Unser größter Gegner momentan sind zu hohe Erwartungen. Die Frage ist eher nicht ob wir Erwartungen enttäuschen, sondern wie viele. Der Erfolgsdruck ist enorm hoch. Es hat wahrscheinlich auch etwas Gutes, dass eine Stadt nicht so einfach von heute auf morgen um 180 Grad umzudrehen ist. Das bedeutet, wir werden bittere Kompromisse schließen, aber das gehört dazu.

Wir müssen jetzt viel dazulernen, das politische Handwerk des Regierens lernen. Und wir müssen weiter heraus aus unserem bisherigen Elektorat - wir müssen in Bereiche, wo die Leute derzeit nur sagen: „Ihr lasst ja alle Ausländer herein". Da müssen wir auch hin, werden streiten müssen, diskutieren, das wird hart. Da dürfen wir uns nicht verzetteln. (derStandard.at, 23.11.2010)