Rosa-rote Blumen für die grüne Vizebürgermeisterin.

Foto: Der Standard/Cremer

Wien - Als die hundert Abgeordneten zur konstituierenden Sitzung im Wiener Gemeinderat eintrudelten, ging es am Donnerstag in der Früh ein bisschen zu wie am ersten Schultag nach den großen Ferien. Man hat sich längere Zeit nicht gesehen, sucht seinen Platz - manche die in der vergangenen Legislaturperiode in der ersten Reihe gesessen sind, sitzen jetzt in der letzten.

Es wurde so freundlich parteiübergreifend miteinander getratscht und gescherzt, dass Michael Häupl, der zu Beginn der Sitzung den Vorsitz übernommen hatte, gegen einen beachtlichen Lärmpegel anreden musste: "Ich verstehe ja Ihre Wiedersehensfreude, meine sehr geehrten Damen und Herren, aber darf ich Sie bitten, Ihre Plätze einzunehmen" , dröhnte Häupl vom erhöhten Platz des Vorsitzenden.

Der - geheimen - Wiederwahl Häupls zum Bürgermeister (mit 65 der 100 Stimmen) ging eine einstündige Debatte voraus, bei der der alte neue Gemeinderatsvorsitzende Godwin Schuster (SP) für Lacher im Saal sorgte. Er hatte zunächst den grünen Klubchef David Ellensohn ans Rednerpult gebeten, dabei aber übersehen, dass sich dieser von der Rednerliste hatte streichen lassen. Ebenso entgangen war ihm, dass FP-Klubchef Johann Gudenus dafür auf der Liste stand. Schusters Kommentar: "Das fängt ja nicht gut an."

Gudenus prophezeite der neuen rot-grünen Stadtregierung, dass sie als Negativbeispiel in die Geschichte Wiens eingehen werde. "Nie wieder" und "wehret den Anfängen" werde es dann heißen. Einmal mehr bemühte Gudenus die neuen Lieblingspolitiker der Freiheitlichen: "SPÖ-Politiker vom Format eines Kreiskys oder Zilks hätten sich nie auf ein derartiges Wahnsinnsprojekt mit linksextremen Anarchos eingelassen." Was ihm einen Ordnungsruf von Schuster eintrug.

Der schwarze Gemeinderat Alexander Neuhuber sprach direkt Alexander Van der Bellen an, der neben der grünen Bundessprecherin Eva Glawischnig - und mit einem Sitzplatz Abstand zu FP-Chef Heinz-Christian Strache - auf der Besuchergalerie saß. "Seien Sie sich nicht zu gut, und kommen Sie herunter" , spielte Neuhuber darauf an, dass Van der Bellen trotz 12.000 Vorzugsstimmern im Nationalrat bleibt und für die Stadt als Uni-Beauftragter tätig ist.

Ellensohn trat schließlich doch ans Rednerpult, um einen "Freudentag für die Wiener" auszurufen. Er schloss mit den Worten: "Lieber Michi, liebe Maria, ich wünsche euch viel Spaß miteinander." Dass der Spaß in der ersten Gemeinderatssitzung erst noch bevorstand, konnte der Grünen-Klubchef zu dem Zeitpunkt allerdings nicht wissen. Denn als die Stimmzettel bei der geheimen Wahl für den Stadtsenat ausgezählt waren, stellte sich heraus, dass für die grüne Verkehrsstadträtin Maria Vassilakou und den schwarzen nicht amtsführenden Stadtrat Wolfgang Gerstl 101 Stimmen abgegeben worden waren - seltsam bei 100 Mandataren.

Zweimal angekreuzt

Die Erklärung: Ein Abgeordneter oder eine Abgeordnete hatte offenbar irrtümlich zwei Stimmzettel im Kuvert - und auch beide brav angekreuzelt. "Wenn der Van der Bellen mitstimmen hätte wollen, hätt' er das halt sagen müssen" , scherzte daraufhin der Bürgermeister im Plenum in Richtung Grüne. Also: Wiederholung der Wahl und beim zweiten Mal jeweils 100 Stimmzettel.

Den Abstimmungs-Palawatsch meinte Häupl, der zu Mittag von Bundespräsident Heinz Fischer auch als Landeshauptmann bestellt wurde, später in seiner Regierungserklärung bestimmt nicht, als er sagte: "Wir wollen zeigen, dass neue Wege beschritten werden können und aus meiner Sicht aus auch müssen." Rot-Grün sei neu für Österreich und "stellt eine Alternative zu bisherigen Koalitionsvarianten dar" . Und die neue Koalition beschloss die "Schaffung eines modernen Verhältniswahlrechts" bis 2012. Einen Antrag von ÖVP und FPÖ zur Änderung des mehrheitsfördernden Wahlrechts lehnte sie ab. (Bettina Fernsebner-Kokert, DER STANDARD, Printausgabe, 26.11.2010)