Zwei Meldungen von höchster Brisanz verbreiteten sich diese Woche von Brüssel aus über die Union. Fall 1: Zunächst wurde bestätigt, dass Irland unter den Rettungsschirm von Euro-Staaten und Währungsfonds schlüpfen wird. Garantien von rund 85 Milliarden Euro sollen die Eurozone vor Schaden bewahren. Darüber wird in allen Medien riesig berichtet, zuweilen in einer Mischung aus Angstlust und Atemlosigkeit: Der Euro sei in Gefahr, der Union drohe der Bruch.

Fall 2: Die EU-Kommission legte einen Bericht über die Lage am Arbeitsmarkt für die Generation der 15- bis 24-Jährigen vor. Ergebnis: Die Differenzen sind enorm. In einigen Ländern hat jeder Dritte keinen Job. 40 (!) Prozent der Jungen haben kein reguläres Arbeitsverhältnis. Gleichzeitig steigt die Zahl jener, die gar nichts haben, weder Ausbildung noch Job - in Italien, Zypern, Bulgarien am stärksten. Die Reaktion der Öffentlichkeit: kurze Berichte, Aufregung mäßig bis null.

Diese beiden Beispiele zeigen, wie gefährlich unterentwickelt, ungleichgewichtig bzw. unpolitisch die wesentlichen Themen im integrierten Europa noch immer abgehandelt werden. Bei beiden geht es um entscheidende Fragen für die Zukunft, nicht nur in einzelnen Ländern. Und sie hängen auch zusammen. Beim gemeinsamen Geld leuchtet das jedem sofort ein. Aber beim Arbeitsmarkt?

Dennoch: Es gibt diesen inneren Zusammenhang. Die Wirtschaftsproduktion in einem Land, der Arbeitsmarkt, Steuersätze, Budgetlage, Steuer- und Finanzpolitik, Kreditwürdigkeit, Wert der Währung - im Nationalstaat wird das abgestimmt. Aber wir haben - zwölf Jahre nach Einführung des Euro - nicht gelernt, das im offenen Markt der Union zu tun, den Übergang von der Wirtschafts- und Währungsunion hin zu einer politischen Union zu bewerkstelligen.

Das ist der Hauptgrund, warum die Bewältigung der Währungskrise so schwer fällt. Die Regierungen der Eurozone doktern in Wahrheit nur an Symptomen herum; wenn sie Problemländern Garantien geben, kaufen sie sich Zeit. Deutschland und Frankreich sind gerade dabei, eine Reform der EU-Verträge durchzudrücken, damit nicht nur die Steuerzahler, sondern auch die Banken und Investoren an den Kosten solcher Aktionen beteiligt werden können. Gut so. Aber auch das wird auf längere Sicht nicht ausreichen.

Die Union - mindestens die Eurozone - braucht eine Gesamtkur. Es muss gelingen, dass die Länder nicht nur grob ihre Budgetzahlen, sondern ihre gesamte Wirtschafts- und Sozialpolitik engstens abstimmen, was mit Gleichmacherei nichts zu tun hat. Dazu Initiativen zu ergreifen, wäre eigentlich die Aufgabe der EU-Kommission. Aber die ist bisher zu feige und zu schwach, überlässt das Kommando den Nationalstaaten. Es geht um die alte Frage, welches Europa wir wollen. Zumindest eines hat die Krise bisher gezeigt: Die nationalen Wirtschaften lassen sich nicht mehr entflechten, ein Schritt nach vorne scheint unvermeidbar. (Thomas Mayer, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27./28.11.2010)