Scott Matthew versorgte gemeinsam mit Spencer Cobrin das ausverkaufte Porgy mit Gänsehaut, als er das gemeinsame Album "Elva Snow" spielte.

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Ein Schatten seiner selbst: Grant Hart.

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Wien - Oft reicht ein Blick. Als James Vincent McMorrow das am Wochenende abgehaltenen Blue Bird Festival eröffnete, war am Saaleingang bloß seine Stimme und spärlich Gitarrenspiel zu vernehmen. Nicht ohne Schönheit, aber im Tonfall doch an die letzte Wurzelbehandlung erinnernd.

So klingen Singer-Songwriter, wenn sie alleine vortragen. Manchmal. Und nachdem man der Person zur Stimme ansichtig geworden war, bestätigte sich, dass diese auch so aussieht, wie sie laut Singer-Songwriter-Stylebook aussehen muss: Haarbefall im Gesicht, bestens eingetragene Hosen, Arme-Leute-T-Shirt. Schließlich will das Leid ja glaubhaft dargestellt sein. Etikettierungen wie Anti-Folk oder Freak-Folk betrafen in den letzten Jahren nicht nur die Musik, sondern auch die Interpreten dieser ältesten, bis zu den Minnesängern datierbaren Populärmusik.

Dabei täte man dem Iren McMorrow unrecht, würde man ihn bloß als wandelndes Klischee abtun. Seine Musik vermochte durchaus zu berühren, die stocksteife Darbietung hätte sich aber mit einem - noch so ein Klischee! - Barhocker auflockern lassen.

Die wirklich traurige Gestalt an diesem Abend aber war Grant Hart. Als ehemaliger Schlagzeuger des wegbereitenden 1980er-Jahre-Trios Hüsker Dü, für die man heute noch in jeden Glaubenskrieg ziehen würde, nahm er einen eher ungewöhnlichen Weg zum Frontmann. Wobei der 49-Jährige heute wohl hauptsächlich deshalb alleine auftritt, weil für eine Bandtour der Dollar fehlt.

Hart: Bitter

Solo blieb es bitter. Hart ist seine Vergangenheit buchstäblich ins Gesicht geschrieben. In der gehörte die Heroinjause über Jahre hinweg zur Routine. Teilweise zahnlos, mit hängenden Backen und Lidern, betrat er als Schatten seiner selbst die Bühne. Dass ihm das Publikum sitzend lauschte, war dieser Ruine zwar nicht recht, aber selbst Stücke aus Zeiten, als er noch Teil einer Festung war, brachten die Zuhörer nicht aus den Stühlen.

Nur in raren Momenten blitzte jene helle Stimme auf, die die stürmischen Hüsker-Dü-Songs so verführerisch mit Pop-Appeal versahen. Aber sie retteten Harts Darbietung nicht. Weder sein bescheidenes Gitarrenspiel, noch seine Erscheinung als Ritter von der traurigen Gestalt im verbeulten Omapullover ließen sich da schöntrinken. Scout Nibletts radikaler Minimalismus erinnerte im Anschluss daran, wie ein ambitionierter Auftritt abläuft.

Den Höhepunkt des dreitägigen Festivals markierte Scott Matthew. Gemeinsam mit dem früheren Gitarristen des britischen Pop-Helden Morrissey, Spencer Cobrin, veröffentlichte er 2005 als Elva Snow ein titelloses Album. Würde jemand behaupten, es sei dies das übersehene Pop-Juwel der letzten Dekade, man könnte nicht widersprechen.

Matthew, bis auf seine hünenhafte Größe ein Singer-Songwriter-Klischee samt Barhocker, versteht es wie wenige, seine Songs mit Emotionen aufzuladen. Dabei wirkte er wohltuend unroutiniert. Er rang mit den freien Armen, suchte mit geschlossenen Augen den Kontakt zum Gefühl. So als müsste er sich erst selbst von seinem Vortrag überzeugen. Klavier und Cello spannten ein fragiles Netz für die stellenweise an den frühen David Bowie erinnernde Stimme des Australiers.

Doch "Elva Snow" ist kein waidwundes Lulu-Album. Es rockt, ist lebendig, wunderschön und verletzlich, so verwegen wie gewinnend bis hin zum besungenen Hollywood Ending - um noch ein letztes Klischee zu verscherbeln.

Große Songs wie Pavement Kisses oder das der globalen Dorfjugend empfohlene Drinking And Driving ließen das Konzert über eine galoppierende Gänsehaut bis in die letzten Winkel des Saals wirken. Was man schon ahnte, bestätigte der blaue Vogel eindrucksvoll: Scott Matthew, dieser zärtliche Gigant - er hat den Generalschlüssel zu unseren Herzen gestohlen. (Karl Fluch, DER STANDARD/Printausgabe 29.11.2010)