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Statt den flüchtigen Elementarteilchen sind die Forscher mit dem Neutrino-Detektor ANTARES Pottwalen auf der Spur.

Foto: AP/Guam Variety News, Chris Bangs

Erlangen - Eigentlich ist das Instrumentarium dafür vorgesehen, unvorstellbar winzige und flüchtige Teilchen nachzuweisen - doch wie sich zeigte, lassen sich damit auch gewaltige Meeressäuger aufspüren: Biologen haben mithilfe großer Unterwasserteleskope, mit denen Physiker Signale von Neutrinos verfolgen, die Geräusche von Walen aufgezeichnet. Die ungewöhnliche Querverbindung zwischen den beiden wissenschaftlichen Disziplinen soll in den kommenden Tagen bei einem Workshop in Paris diskutiert werden.

Die Wissenschafter des Erlangen Centre for Astroparticle Physics (ECAP) erforschen Neutrinos mit dem Teleskop ANTARES, das seit 2008 in der Nähe von Toulon in 2.475 Metern Tiefe vollständig aufgebaut ist und Tag und Nacht Daten sammelt - ähnlich wie NEMO vor Italien und NESTOR vor Griechenland. Am europäischen Gemeinschaftsprojekt KM3NeT, einem kubikkilometer großen Neutrino-Teleskop, das im Mittelmeer künftig mehr als eine Milliarde Tonnen Wasser beobachten soll, sind die Erlanger Astroteilchenphysiker ebenfalls maßgeblich beteiligt.

ANTARES überwacht etwa 30 Millionen Tonnen Wasser mittels sogenannter Photomultipliern, die einzelne Photonen nachweisen und ihre Ankunftszeiten mit einer Genauigkeit von etwa einer Nanosekunde messen können. Dadurch sollen Neutrinos aus astronomischen Quellen, die sich trotz ihrer ungeheuer großen Zahl der Beobachtung bisher hartnäckig entziehen, gleichsam "sichtbar" werden.

Hörbare Neutrinos

Darüber hinaus könnte es sein, dass man Neutrinos buchstäblich auch "hören" kann. Die beinahe masselosen Elementarteilchen heizen das umgebende Wasser in einem sehr geringen Radius um eine Winzigkeit wenig auf, wenn sie ihre Energie in einer Teilchenkaskade abgeben. Dabei dehnt sich das Wasser gerade genug aus, um einen messbaren Schallpuls entstehen zu lassen. Außerdem lassen sich akustische Sensoren in größeren Abständen voneinander anbringen als optische, da sich Schall in Wasser weiter ausbreiten kann als Licht.

Um zu testen, ob auf diese Weise noch gewaltigere Wassermengen auf Neutrino-Reaktionen zu untersuchen sind, wurden am ECAP akustische Sensoren und die zugehörige Ausleselektronik entwickelt und in ANTARES integriert. Seit Ende 2007 werden nun laufend akustische Daten aus der Tiefsee genommen.

Walgesang statt Elementarteilchen

Noch waren keine Signale von Neutrinos zu finden, doch andere Geräusche sind ständig vorhanden, denn in den Wassermassen des Mittelmeers ist es keineswegs still. Die europäischen Physiker, die mit den Unterwasserteleskopen arbeiten, kamen auf die Idee, ihre Daten auch anderweitig zu verwerten und ihre Geräte mit Meeresbiologen zu teilen. Damit tragen sie dazu bei, ein bioakustisches Netzwerk zu entwickeln, das in der Tiefsee Signale aus der Umwelt auffängt.

Wissenschaftern aus anderen Disziplinen bietet sich dadurch nicht allein die Möglichkeit, Ausflüge von Walen ins Mittelmeer zu verfolgen; für langfristige Studien in der Tiefsee könnten spezielle Detektoren eingerichtet werden, beispielsweise um Ozeanströmungen zu untersuchen, die Rätsel der Biolumineszenz - des "kalten Leuchtens" von Organismen - zu lösen oder Bewegungen der Erdkruste zu überwachen und rechtzeitig vor Erdbeben warnen zu können.

Für Laien-Ozeanologen wird etwas anderes besonders reizvoll sein: Sie können am heimischen Computer dem Gesang der Wale lauschen: Die Internet-Platform LI-DO (Listen to the Deep Ocean) liefert die Daten praktisch in Echtzeit nach Hause. (red)