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Ob Alter, Hautfarbe, Körpereigenschaften oder sexuelle Orientierung, Geschlecht oder Religion: Wer sich aus bestimmten Gründen benachteiligt oder belästigt fühlt, kann in Wien nun eine kostenlose Schlichtung begehren

Foto: AP/Schreiber

Ein Wiener schwarzer Hautfarbe kommt zum Schalter einer Wiener Sozialeinrichtung und bittet um Auskunft. „Immer Probleme mit den N.*", zetert die Schalterbeamtin, und schüttelt den Kopf. Der Mann traut seinen Ohren kaum und verlangt den Vorgesetzten. Der erscheint prompt, und zeigt Verständnis - für seine Untergebene: „Ja, immer diese Afrikaner", pflichtet er ihr bei.

Fälle wie dieser, der auf einer wahren Begebenheit beruht, könnten in Zukunft nicht ohne Folgen bleiben: Ein seit September geltender Passus im Wiener Antidiskriminierungsgesetz (ADG) gibt Diskriminierungsopfern künftig mehr Spielraum, sich gegen Benachteiligungen oder Belästigungen zu wehren. Konkret sieht das Gesetz ein Schlichtungsverfahren vor. Nur, wenn dieses Schlichtungsverfahren keine Einigung bringt, kann die Benachteiligung auch vor Gericht beanstandet werden.

Nicht nur Geld

Auf den ersten Blick klingt dies wenig vorteilhaft. ExpertInnen erwarten jedoch, dass die Opfer im Schlichtungsverfahren befriedigendere Ergebnisse erzielen könnten als vor Gericht: Per Klage können nur Schadensersatz-Forderungen geltend gemacht werden, und hier sind die Mindestsätze gesetzlich vorgegeben. Vor der Schlichtungsstelle hingegen „kann man im Grunde beliebig viel fordern", erklärt Volker Frey, Generalsekretär des Klagsverbands für Diskriminierungsopfer - also nicht nur Geld, sondern auch eine andere Art von Wiedergutmachung, oder auch die Zusage, dass die diskriminierende Behörde oder Person in Zukunft ihr Verhalten ändern werde.

Frey ist optimistisch, dass das Schlichtungsverfahren Opfern von Belästigungen oder Diskriminierungen neue, aussichtsreiche Wege zur Genugtuung eröffnet. Schließlich gibt es bereits Erfahrungen: Menschen mit Behinderungen konnten schon bisher per Schlichtungsverfahren zu ihrem Recht kommen. „Wir sehen, dass das in der Praxis recht gut funktioniert - und dass Betroffene im Schlichtungsverfahren zum Teil höhere Schadensersatz-Zahlungen bekommen als vor Gericht." Dazu kommt, dass Gerichtsprozesse mit Kosten verbunden sind - Schlichtungsverfahren hingegen sind kostenlos.

Wenn Gemeinde mitspielt

Zwar sind es nur ganz bestimmte Situationen des Alltags, in welchen das Gesetz anwendbar ist: Es muss einE BediensteteR der Stadt Wien, einer Gemeindeeinrichtung oder eines ausgelagerten oder im Auftrag der Gemeinde handelnden Unternehmens sein, von dem/der man sich diskriminiert oder belästigt fühlt.

Dafür kommen potenziell viel mehr Menschen in den Genuss der Schutzbestimmungen: Nicht nur Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts, der ethnischen Herkunft, der sexuellen Orientierung oder aufgrund einer Behinderung sind umfasst, sondern auch Benachteiligungen aufgrund des Alters, der Weltanschauung oder aufgrund einer Schwanger- oder Elternschaft. Nicht nur die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft wird als möglicher Diskriminierungsgrund anerkannt, sondern auch die Nicht-Zugehörigkeit zu einer solchen - somit werden auch AtheistInnen geschützt.

Änderungen einfordern

Was kann nun konkret im Schlichtungsverfahren gefordert werden? Volker Frey nennt ein Beispiel: "Wenn ein Wiener Kindergarten Kinder mit Behinderungen nur in einer eigenen Sondergruppe betreuen will, könnten Eltern mit dem Schlichtungsverfahren einfordern, dass das Kind in die Regelgruppe kommt."

Was für Opfer sexueller Belästigungen besonders relevant ist: Im Schlichtungsverfahren gibt es keine Anwesenheitspflicht. Es ist also möglich, nicht zur Schlichtung zu erscheinen, wenn dies dem Opfer nicht zumutbar ist. Die Voraussetzung für eine Klage wird dennoch erfüllt, wenn man es sich schriftlich bestätigen lässt.

Wien als Vorreiter

Das Wiener Gesetz sei vorbildhaft unter den Landesgesetzen, sagt Frey. Zu beachten sei jedoch, dass Verträge oder Bescheide nicht in den Anwendungsbereich des Gesetzes fallen: Verträge können vor der Gleichbehandlungskommission angefochten werden, während es bei Bescheiden wie bisher eine Anfechungsmöglichkeit gibt. 

Beschwerden können direkt bei der Wiener Stelle zur Bekämpfung von Diskriminierungen eingereicht werden, besondere Formvorschriften gibt es dafür nicht. Auf der Website des Klagsverbands zur Durchsetzung der Rechte von Diskriminierungsopfern finden sich jedoch ein Schlichtungsformular und ein Leitfaden für Schlichtungsverfahren nach dem Wiener Antidiskriminierungsgesetz. (Maria Sterkl, derStandard.at, 1.12.2010)