Wien, das ist in der Sprache der Bundesländer die Bundesregierung und die ihr direkt unterstehende Verwaltung.

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Bundeshauptstadt Wien - Wien steht unter Generalverdacht. Wien, das ist nicht das Bundesland, in dem Michael Häupl Landeshauptmann und Bürgermeister zugleich ist (wie Häupls Amtsvorgänger seit 1922) - Wien, das ist in der Sprache der Bundesländer die Bundesregierung und die ihr direkt unterstehende Verwaltung. "Wien" oder "der Bund" waren seit Gründung der Republik Feindbild jener Länder, die hier zu viel teure Zentralbürokratie und (linkes) politisches Hineinregieren in die eher konservativ aufgestellten ländlichen Regionen gefürchtet haben.

Die alte Machtfrage des Gleichgewichts zwischen Bund und Ländern wird in den vergangenen Tagen immer wieder neu gestellt: Der Bund versucht, zentrale Kompetenzen bei den Spitälern und der Bildung durchzusetzen, die Länder aber wollen sich nicht dreinreden lassen. Wenn es um Föderalismus geht, agieren auch Wiener Landespolitiker wie ihre Kollegen aus anderen Bundesländern. Am Mittwoch lobte etwa Sonja Wehsely, Wiener Stadträtin für Gesundheit und Soziales, das Ansinnen von Gesundheitsminister Alois Stöger für ein bundeseinheitliches Krankenanstaltengesetz - pochte aber gleichzeitig darauf, dass "dessen Vollziehung die Länder bewerkstelligen".

Und Vorarlbergs Landeshauptmann Herbert Sausgruber meint im Gleichklang mit seinen schwarzen Landeshauptmann-Kollegen, dass die Länder die Schulen billiger verwalten könnten als der Bund. Sein niederösterreichischer Kollege Erwin Pröll beziffert das Sparpotenzial mit 40 bis 50 Millionen Euro, was von Experten allerdings angezweifelt wird. Die Landeshauptleute sind jedenfalls überzeugt, dass sie die Verwaltung billiger machen könnten. Tirols Landeschef Günther Platter sieht überhaupt den Föderalismus in Gefahr: "Ich nehme vermehrt wahr, dass die Zentralisten in der Republik Österreich immer lauter werden."

Tatsächlich sind es weniger Bundespolitiker als Experten, die die Rolle der Länder und ihrer Chefs infrage stellen. Der Umweltjurist Gerhard Heilingbrunner, Präsident des Umweltdachverbands, erklärt im Standard-Gespräch auch die Ursache: "Es hat sich noch nicht überall herumgesprochen, dass wir EU-Mitglied sind. Ein Großteil der Rechtssetzung passiert auf EU-Ebene. Die Bundesverfassung weist aber die Zuständigkeit den Ländern zu. Wenn etwa ein Bundesland bei der Umsetzung der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie säumig ist, nimmt die EU die Republik Österreich in Anspruch - wenn sie nicht auf die Länder durchgreifen kann, müsste sie sogar deren Strafen zahlen."

Die neun Landeshauptleute bei ihrer - in der Verfassung nicht vorgesehenen - Konferenz: Wenn sie behaupten, dass der Föderalismus in Gefahr sei, ist jede Diskussion um die Kompetenzverteilung in der Republik von vornherein abgewürgt. (Conrad Seidl, DER STANDARD, Printausgabe, 2.12.2010)