Nicht nur an der Wand von Josef Prölls Büro herrscht düstere Stimmung: Das Budget zog die Popularitätswerte des Finanzministers in den Keller - im europäischen Ranking werde Österreich aber weit oben landen, ist Pröll überzeugt.

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STANDARD: Kann man sagen, dass Sie sich in einer Krise befinden?

Pröll: Ich bin dabei, eine europäische Krise mitzubewältigen, aber mich selbst sehe ich keineswegs in einer Krise, weder politisch noch persönlich. Meine Umfragewerte sind tatsächlich nicht zufriedenstellend, doch ich habe bereits bei meiner Budgetrede gesagt: Wenn ich zwischen Umfragewerten und der Stabilität unserer Wirtschaft zu wählen habe, weiß ich, wofür ich mich entscheide. Übrigens: Stimmungen können sich schnell drehen, wenn sich nächstes Jahr herausstellt, wie wir dank des neuen Budgets im europäischen Ranking bei der Wirtschaftsleistung und auf dem Arbeitsmarkt liegen.

STANDARD: In Österreich hat das Budget die Erwartungen nicht erfüllt.

Pröll: Auch ich habe mir größere Meilensteine erwartet, aber das ist in der Koalition nicht gegangen. Der Kompromiss, den wir erzielt haben, ist dennoch mehr als okay.

STANDARD: Viele Wähler fragen sich wohl, warum die selbsterklärte Familienpartei ÖVP so stark bei den Familien spart.

Pröll: Ich habe immer gesagt: Alle müssen einen Beitrag leisten. Und eines ist klar: Indem wir die Schulden in den Griff bekommen, nehmen wir unsere familienpolitische Verantwortung wahr. Es ist verantwortungslos, unseren Kindern Schuldenberge zu hinterlassen. Abgesehen davon steht der Familienlastenausgleichsfonds mit 3,9 Milliarden in der Kreide. Wenn wir nicht handeln, laufen die Dinge aus dem Ruder.

STANDARD: Manche Familien werden tausende Euro pro Jahr verlieren. Ist das so leicht verkraftbar?

Pröll: Hören Sie doch auf mit diesen Pauschalvorwürfen! Diese Beispiele möchte ich erst einmal sehen. Klar ist: Wir müssen einsparen. Aber ich will nicht bei allen kürzen, vom kleinsten Baby bis zum Studenten. Vielmehr will ich Schwerpunkte setzen. Und ich glaube schon, dass 25- und 26-jährige Studenten zu ihrem Lebensunterhalt genug beitragen können, um auf eigenen Füßen zu stehen.

STANDARD: Kardinal Schönborn nennt die Kürzungen bei der Entwicklungszusammenarbeit eine "Schande für Österreich" . Lässt Sie das als Katholik kalt?

Pröll: Kritik lässt mich grundsätzlich nicht kalt. Aber wissen Sie, wir haben der katholischen Kirche vor zwei Jahren durch die Verdoppelung der Absetzbarkeit des Kirchenbeitrages einen massiven finanziellen Freiraum gegeben. Das hat unseren Haushalt nicht gerade wenig gekostet.

STANDARD: Bei der Entwicklungszusammenarbeit geht es nicht um Geld, das der Kirche zugutekommt.

Pröll: Das stimmt schon. Aber ich höre immer nur, wer aller mehr Geld will und was alles nicht gekürzt werden darf. Irgendwo muss ich das Geld ja hernehmen. Auch die Kirche muss doch sehen, dass wir nicht überall Geld draufgeben können, ohne auf der anderen Seite zu kürzen.

STANDARD: Sie könnten mehr Geld von den Vermögenden holen, wie das der Kanzler jetzt wieder stärker fordert. Wird ihm die ÖVP da entgegenkommen?

Pröll:Diese Debatte wird ja nicht geführt, weil wir Geld brauchen. Diese Debatte wird geführt, um Neid zu schüren, nicht mehr und nicht weniger. Die FPÖ schürt Neid gegen Europa, manche in der SPÖ schüren den Neid gegen Eigentum. Dabei haben wir gerade ein Paket bis 2014 geschnürt - und Werner Faymann war dabei. Jetzt gilt es, alles zu tun, um das Wachstum zu unterstützen. Ich möchte einen Wohlstand für Österreich, der auf Wirtschaftsleistung beruht, und keine Umverteilung durch schleichende Enteignung.

STANDARD: Man könnte im Gegenzug Arbeitseinkommen entlasten.

Pröll:Wir haben ja gerade die Lohn- und Einkommenssteuer gesenkt, im Ausmaß von 3,2 Milliarden. Das ist offenbar schon wieder vergessen. Mir geht es darum, die Strukturen zu verändern: Ich will eine Steuerreform, die das komplexe Steuersystem, das aus viel Stückwerk besteht, vereinfacht.

STANDARD: Sie hatten es mit Faymann auch schon lustiger, oder?

Pröll: Es war zu der Zeit lustiger, als wir beide nicht in dieser Verantwortung standen. Aber wenn es ein Problem gibt, ist Faymann immer erreichbar. Wir sprechen die Dinge offen an, können immer noch miteinander reden. Und wenn ich mir die Opposition anschaue, frage ich mich, wie mit der ein Staat zu machen sein soll. Bei der letzten Nationalratssitzung haben FPÖ und BZÖ die Stimmung derart hetzerisch aufgeheizt, dass zuschauende Bürger den Eindruck bekommen mussten, Politiker könnten nicht einmal mehr miteinander reden.

STANDARD: Womöglich sitzen Ihre härtesten Gegner nicht beim Koalitionspartner, sondern in den Ländern. Sind diese schuld, dass bei den großen Reformen - Spitäler, Schulen, Pflege - nichts geht?

Pröll: So schlecht kann der Föderalismus nicht sein, wenn wir uns anschauen, wo Österreich steht. Aber natürlich, es gibt Effizienzpotenzial, keine Frage. Wir brauchen hier eine neue Qualität im Umgang. Man darf Föderalismus nicht mit Provinzialismus verwechseln. Bei den von Ihnen angesprochenen Strukturreformen bleiben wir am Ball.

STANDARD: Warum haben Sie den Ländern dann frisches Geld aus der Bankenabgabe zugestanden, ohne diese zu Reformen zu verpflichten?

Pröll: Das stimmt so nicht. Die Zuteilung von Steuern ist im Finanzausgleich geregelt und keine Frage dessen, was ich zugestehe oder nicht. Im Übrigen haben wir vereinbart, dass ein Stabilitätspakt geschlossen wird. Wenn die Länder klare Defizitgrenzen bekommen, gibt es keine andere Wahl, als Reformen anzupacken. Die Länder sind auf dem Weg, klare Strukturen zu entwickeln.

STANDARD: Sieht nicht so aus. Bei der Reform der Schulverwaltung geht gar nichts mehr weiter.

Pröll: Hier ist beim Koalitionspartner noch Überzeugungsarbeit zu leisten, ein als "Machtwort" verkündetes Diskussions- und Verhandlungsverbot bringt die Mühle zum Stehen. Ich habe gemeinsam mit den ÖVP-Ländern einen ganz klaren Vorschlag gemacht: Der Bund soll einen noch stärkeren Durchgriff auf das Schulsystem bekommen, bestimmt dabei Lerninhalte, Schulversuche und Schultypen. Dafür geht die Schulverwaltung zur Gänze an die Länder, das erspart uns 50 Millionen Euro pro Jahr. Wenn heute eine Direktorenbestellung im Bildungsministerium zwei bis drei Jahre braucht - was soll das?

STANDARD: Sämtliche Experten sind gegen Ihr Modell.

Pröll: Was sind das für Experten? Wenn sie es als Verländerung kritisieren, dann haben sie von dem Papier keine Ahnung, Derzeit zahlen wir als Bund für 60.000 Lehrer, die von den Ländern angestellt werden. Wir wissen, etwa in Wien, oft gar nicht, wo die eingesetzt werden. Deshalb wollen wir das Geld nicht mehr pro Lehrer, sondern pro Schüler überweisen: Es gibt X Schüler im Bundesland Y, und dafür gibt es die Summe Z an Geld. Wenn sich Wien dann mehr Lehrer leisten will, müssen sie selber dafür aufkommen. Diese Schülerkopfquote wäre ein Befreiungsschlag. Ich verstehe nicht, warum es der SPÖ so schwerfällt, dem näherzutreten.

STANDARD: Machen wir die Gegenprobe: Unterstützen Sie denn Gesundheitsminister Stöger von der SPÖ bei seinem Vorschlag zur Spitalsreform, der von den ÖVP-Ländern brüsk abgeschmettert wurde?

Pröll: Stöger hat interessante Ansätze präsentiert, und ich vernehme jetzt, dass Niederösterreich und andere Länder für Verhandlungen offen sind. Die soll der Gesundheitsminister führen. Aber so einen Plan kann man eben nicht einfach nur auf den Tisch knallen. Und wir müssen weg von dem Spiel, bei dem es nur darum geht, wer gewinnt und verliert.

STANDARD:Schon Reformen von Kleinigkeiten wie dem Jugendwohlfahrtsgesetz ziehen sich ewig hin - wie soll da Großes gelingen? Der Föderalismus lähmt die Republik.

Pröll: Nein, da muss man fair sein. Eine der größten Stärken Österreichs ist, dass die Bundesregierung in Brüssel ohne vorhergehende Einbindung der Bundesländer entscheiden kann. Ja, in Österreich dauert es manchmal sehr lang. Je zentralistischer, umso einfacher ist es für die Führungsperson. Aber die ÖVP ist selbst föderal organisiert, und das macht die Partei auch stark ...

STANDARD: ... aber Sie schwach. Was bei den Grünen die Basis ist, sind bei Ihnen die Länder ...

Pröll: ... und die Bünde? Also nein, was bei den Grünen als Basis gilt, möchte ich so lieber nicht in meiner Partei haben. Der Föderalismus macht mich nicht schwach, ist aber eine Riesenherausforderung. Je vielfältiger die Partei, umso anspruchsvoller die Arbeit.

STANDARD: Ex-EU-Kommissar Franz Fischler meint, die Landeshauptmänner von Niederösterreich und Wien hielten sich eine Bundesregierung.

Pröll: Ich schätze Fischler sehr. Aber die Stimmen der Vergangenheit werden nicht unsere Zukunft bestimmen.

(Gerald John, Michael Völker, DER STANDARD, Printausgabe, 4./5.10.2010)