"Gebt der Stadt Farben!" Robert Kotas setzte sich zeit seines Lebens für die Buntheit in der Öffentlichkeit ein. Die Originalbestuhlung zählte 900 Sitzplätze, heute (im Bild) fasst der Saal 736 Plätze.

Foto: Gartenbaukino/Astrid Johanna Ofner

Am 19. Dezember 1960 erschien auf der Leinwand des neu eröffneten Gartenbau-Kinos das 30 Quadratmeter große Gesicht von Kirk Douglas. Mit der neuesten Technik ausgestattet, schallte es in der berühmten Schlüsselszene in karger Wüstenlandschaft aus dem Hintergrund: "Ich bin Spartacus!" Schnitt. "Ich bin Spartacus!" Und noch einmal Schnitt. "Ich bin Spartacus!"

Kommendes Wochenende wird Stanley Kubricks 196-Minuten-Monumentalfilm Spartacus zum 50. Geburtstag des Kinos in einer restaurierten Fassung wiederaufgeführt - zwar ohne Kirk Douglas im Publikum, der eigens zur österreichischen Uraufführung angereist war, und auch nicht auf 70-Millimeter-Film wie anno dazumal, aber dafür mit jeder Menge Begleitprogramm: mit Ausstellungen, Modeschauen und künstlerischen Arbeiten, die eigens für die historischen Räume in Auftrag gegeben wurden.

"Das Gartenbau war schon damals kein gewöhnliches Kino", erinnert sich Walter Fritz, Kinohistoriker und Autor des Buchs Im Kino erlebe ich die Welt. 100 Jahre Kino und Film in Österreich. "Das war der größte Saal Wiens und zweifelsohne auch eine der größten Leinwände in ganz Österreich. Nicht zuletzt erfüllte das Kino damals alle Voraussetzungen für Cinerama, Cinemascope und 70 Millimeter." Der Lieblingsplatz des heute 69-Jährigen: "17. Reihe Mittelgang fußfrei, Mitte. Der ideale Sitzplatz! Ich war von der Leinwand regelrecht eingekreist."

Kein Wunder, schließlich wurde das Gartenbaukino von einem Vollprofi ausgestattet. Robert Kotas (1904-1973) war der Haus- und Hofarchitekt der Kinogesellschaft Kiba, sein Herz schlug für die Leinwand. Zeit seines Lebens wickelte Kotas allein in Wien rund 40 Kinoprojekte ab, darunter Umbauten wie Neubauten: etwa das riesige Forum-Kino in der Stadiongasse (1950), das Kolosseum in der Nussdorfer Straße (1954) sowie das berühmte weitläufige Park-Kino in Hietzing (1968) - allesamt abgerissen und zerstört.

Das 1960 fertiggestellte Gartenbaukino auf dem geschichtsträchtigen Cineasten-Grundstück am Parkring, auf dem bereits 1912 der Internationale Kinematographenkongress stattgefunden hatte, ist das letzte heute noch erhaltene Lichtspieltheater des Wiener Architekten. "Ich bin froh, dass es das Gartenbaukino nach wie vor gibt", sagt Walter Fritz. "Gleichzeitig wundert mich nicht, dass ausgerechnet dieses eine Kino überlebt hat. Mit 900 Sitzplätzen war es schon damals das größte und gigantischste seiner Art. Im Gartenbau zu sitzen ist reingegangen wie eine Aufführung von Verdis Aida."

Zufluchtsort Kino

Die ungebrochene Liebe des Publikums zu diesem Kino habe mehrere Gründe, meint Norman Shetler, Geschäftsführer der Entuziasm Kinobetriebs GmbH. Die Tochtergesellschaft der Viennale ist seit 2002 Betreiberin des Gartenbaukinos, das am Höhepunkt der österreichischen Lichtspielkultur errichtet wurde. 120 Millionen Kinobesucher zählte man damals pro Jahr - Rekordwert im Leinwandland.

"Die Nachkriegsjahre waren geprägt von einem Eskapismus in Heimatidyllen und fiktionalen Monumentalfilmen. Die Leute wollten sich ablenken und haben in den bewegten Bildern des Kinos Zuflucht gefunden", erklärt Shetler. "Für Bauherren und Investoren gehörte es damals zum guten Ton, ihre Immobilienprojekte mit einem Kinosaal aufzuwerten. Damit hat man Geschäft gemacht."

"Unabhängig von all seinen Rekorden, was Größe und Fassungsvermögen betrifft, ist das Gartenbaukino ein sehr sorgfältig und detailgenau geplantes Projekt", sagt die Wiener Kunsthistorikerin Fiona Liewehr, die für die Jubiläumsausstellung im Gartenbaukino zuständig ist. "Einige Möbel wurden von Kotas für diesen Ort entworfen und eigens angefertigt. Unverkennbar sind nicht zuletzt die kräftigen Farbkompositionen im Foyer, im Sanitärbereich sowie im Kinosaal."

Aus akustischen Gründen sah Kotas an der Decke des Kinosaals unterschiedlich geformte, sogenannte Phonex-Gipsplatten vor. Aus dem Potpourri der gerillten, gelochten und gewürfelten Oberflächen machte sich der Architekt einen Spaß und ordnete jeder Geometrie eine eigene Farbe zu. Das psychedelische Muster war selbst für damalige Verhältnisse eine optische Herausforderung:

"Es wäre wohl nicht notwendig gewesen, im Saal, wo man aus akustischen Gründen zehn verschiedene Plattenarten verwenden musste, jeder Plattengruppe eine andere Farbe zu geben", schrieb die Österreichische Film und Kino Zeitung anlässlich der Eröffnung. "Deshalb passt auch der zarte, feine Pastellton des ungemein gut gelösten Vorhanges nicht zu den übrigen Farben."

Den Architekten ließ die Kritik kalt. Sein Motto lautete: "Gebt der Stadt Farben!" Seinem eigenen Wunsch Folge leistend, experimentierte er im Gartenbaukino mit farbigen Blumenornamenten an der Decke, mit aufwändig gestalteten Leuchtkörpern an der Wand, mit Hinterglasmalereien im Foyer. Die Spuren der Sechzigerjahre sind heute nur noch fragmentarisch erhalten und sollen in Zuge der 50. Geburtstagsfeier teilweise rekonstruiert werden. An der Finanzierung wird bereits gearbeitet.

Rekordtief überwunden

Trotz all der Freude unter Cineasten kämpft das Gartenbaukino nach wie vor ums nackte Überleben. Auch wenn sich die Kinobesucherzahlen in Österreich in den letzten zehn Jahren wieder erholt haben und von einem historischen Rekordtief von 10 Millionen - bedingt durch Kabelfernsehen, Videoverleih und Film-on-Demand - wieder auf rund 17 Millionen angestiegen sind und auch wenn das Gartenbaukino seit 2007 wieder positiv bilanziert, hat es das stattlich dimensionierte Kinofossil nach wie vor nicht leicht.

"Die Auslastung im Regulärbetrieb liegt bei acht bis zehn Prozent", rechnet Norman Shetler vor. "Dank der Viennale und einigen anderen Festivals schaffen wir es auf rund 20 Prozent. Das ist aber immer noch zu wenig." Hinzu kommt die bevorstehende Sanierung von Lüftungsanlage, Lichttechnik und Mobiliar. Die Bauarbeiten sind längst überfällig.

"Eine Handvoll großer Kinos muss übrig bleiben, damit wir überhaupt in der Lage sind, die Errungenschaften der Kinoentwicklung des 20. Jahrhunderts darzustellen", sagt der Kinohistoriker Walter Fritz. " Spartacus am iPhone-Display anzuschauen, das geht nicht. Das geht nur im Gartenbau." (Wojciech Czaja, DER STANDARD/ALBUM - Printausgabe, 11./12. Dezember 2010)