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Sie bleiben doch. Abt und Terroristenführer in Beauvois' Film

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Wien - Im Grunde könnte das Leben innerhalb der Mauern immer so weitergehen. Über das Kloster Notre Dame de l'Atlas, in dem die neun französischen Trappistenmönche ihr neues Zuhause in Algerien gefunden haben, hat sich eine seltsame Zeitlosigkeit gelegt. Diese ist nicht nur das Resultat ihrer monastischen Lebensform, sondern auch ihres Umgangs mit der Außenwelt und den Bewohnern des nahegelegenen Dorfes.

Das ist die erste Besonderheit von Des hommes et des dieux (Von Menschen und Göttern): die Sicherheit, mit der Regisseur Xavier Beauvois dem Lauf der Dinge folgt - jenem Rhythmus, den zunächst Stundengebet und Ordensregeln vorgeben, später aber die schrecklichen Geschehnisse im Frühling 1996. Denn die Idylle trügt: Algerien befindet sich im Bürgerkrieg, und die Drohung der islamistischen Fundamentalisten gegen die Mönche ist deutlich.

Äußerer und innerer Kampf

Eine erste Begegnung - ausgerechnet am Weihnachtsabend - inszeniert Beauvois als rhetorischen Machtkampf und Auseinandersetzung zwischen zwei Anführern, die einander auf Augenhöhe begegnen. Noch fordern die Terroristen nur Medikamente für einen Verletzten, aber man ahnt, dass mit diesem ersten Aufeinandertreffen der innere Kampf der Mönche erst begonnen hat.

"Wir werden mit dieser Unwägbarkeit leben müssen", meint Abt Christian de Chergé (Lambert Wilson) und weiß, was diese nüchterne Feststellung für alle Brüder bedeutet: Darf der Hirte die Schafe verlassen, wenn der Wolf kommt?

Die Folgen der Entscheidung sind bekannt: Am 27. März 1996 werden sieben der neun Mönche von Mitgliedern der Terrorgruppe GIA entführt, nach wochenlangen erfolglosen Verhandlungen mit der französischen Regierung werden am 30. Mai ihre abgeschlagenen Köpfe gefunden. Die Körper bleiben verschollen. Welche Rolle das algerische Militär und der Geheimdienst bei der Ermordung spielen, ist bis heute nicht geklärt.

Es ist das bewusste Aussparen von Fragen nach dem genauen Tathergang und nach dem realpolitischen Hintergrund, das Von Menschen und Göttern als fiktives Dokument zu einem großen Film macht. Denn Beauvois konzentriert sich zur Gänze auf die Dynamik innerhalb der Gruppe: Er beobachtet präzise, wie das fragile Gleichgewicht Risse bekommt; wie berechtigte Zweifel über den Sinn des Verbleibs die unterschiedlichen Charaktere belasten. Und obwohl sich die äußerliche Gefahr zunehmend in der Gestik und in den Gesichtern der Mönche zeigt, wird der Film nicht zum elegischen Drama, sondern bewahrt sich eine stille Heiterkeit.

Auf diesem Umweg inszeniert Beauvois dann doch wieder einen politischen Film: Trotz mehrfacher Warnung seitens des Botschafters und ihres Bischofs entscheiden sich die Brüder zuletzt für das Bleiben - und sind in dieser Entscheidung nur sich selbst gegenüber verantwortlich. Ihr Tod ist für Beauvois weder Bestimmung noch gottgewolltes Opfer.

Nur am Ende fließt dann doch eine Träne, wenn Michael Lonsdale als alter Klosterarzt Tschaikowskys Schwanensee aus dem Kassettenrekorder erklingen lässt. (Michael Pekler/ DER STANDARD, Printausgabe, 17.12.2010)