The Sundays (1965; oben) aus Bruck an der Mur bei der Gitarrengymnastik und die Grazer Turning Point (1974; unten); zwei von 139 Bands, deren Geschichte das Buch "Rockmusik in der Steiermark bis 1975" im Verein mit zwei CDs dokumentiert.

Foto: Max Stelzer senior / Rockarchiv Steiermark
Foto: Max Stelzer senior / Rockarchiv Steiermark

Wien - Fremde Kulturen und ihre Techniken sind ein Hund. Zwar kann man sich heute über fast jedes Interessengebiet in wenigen Minuten fette Dossiers aus dem Internet saugen, von der Theorie zur Praxis bleibt es dennoch ein weiter Weg. Wie schwierig es gewesen sein muss, Anfang der 1960er-Jahre in der Steiermark ein Interesse an Rock- und Beat-Musik zu pflegen, kann man sich da nur ungefähr vorstellen.

Zwar gab es mit der Jugendzeitschrift Bravo zumindest ein Periodikum, das sich der Phänomene der eben erst entstandenen Jugendkultur annahm, aber deren Ausdrucksformen in die lichtscheuen, von qualmenden Industrieschloten durchzogenen Täler des Mur- und Mürztals zu übertragen war schwierig.

Dennoch haben es viele versucht. Das Buch Rockmusik in der Steiermark bis 1975 dokumentiert erstmals die Bemühungen der steirischen Jugend, sich die Ausdrucksformen der Rockmusik anzueignen.

Rund 140 Bands und ihre zum Teil nur noch rudimentär vorhandenen Biografien und Geschichten haben die Herausgeber David Reumüller, Robert Lepenik und Andreas Heller zusammengetragen. Dafür gründeten sie 2007 das Rockarchiv Steiermark. Erschienen ist das Buch in der Edition Keiper in Zusammenarbeit mit Pumpkins Records. Während das von zwei CDs flankierte Buch 1975 endet, reichen die Aufzeichnungen des Online-Archivs mittlerweile bis in die Gegenwart und wachsen beständig.

Die Bands, denen sich das Buch widmet, sind lexikalisch erfasst: Herkunft, Besetzung, eventuelle Veröffentlichungen - und wie lange sie die Steiermark allgemein verunsichert haben. Nur wenigen gelang der Sprung über die Bundeslandsgrenze - oder eine tatsächliche Karriere.

Rockmusik in der Steiermark bis 1975 ist deshalb über weite Strecken ein Dokumentation adoleszenter Besessenheit. Nach dem Wort "Wir haben keine Chance, aber wir nutzen sie" wurden Radios zu Verstärkern umgebaut, Extrazimmer in Wirtshäusern, Ställe oder Kinderheime in Proberäume und Auftrittsorte umgewidmet - und dann wurde aufgedreht.

Die meisten Formationen waren über einige Jahre hinweg zumindest regional so erfolgreich, dass es für regelmäßige Auftritte gereicht hat: Bei Bällen, Fünf-Uhr-Tees und anderen Zusammenkünften der Jugend. Dabei wurde nicht schlecht gespielt. Viele der Musiker hatten eine Vergangenheit bei Unterhaltungskapellen, die Stadtfeste bespielten und ihr Repertoire der Nachfrage des Publikums anpassten. Da tauchten eben irgendwann Elvis, die Beatles oder Bob Dylan auf.

Herzhaftes Pathos

Auch wenn die 41 Aufnahmen aufgrund ihres Alters und bescheidener technischer Möglichkeiten als historisch bezeichnet werden müssen, besitzen sie alle ihre Qualität: Zwischen herzhaftem Pathos und missionarischer Dringlichkeit klampfen und dröhnen Bands mit Namen wie The Extase, Lee Cooper Group, Scotch Quartett oder Atlantis. Nicht alle fielen wieder dem Vergessen anheim: Jack Grunsky etwa wanderte nach Kanada aus und ist bis heute als Musiker erfolgreich. Ebenso die Grazer Turning Point, die in ganz Europa getourt haben. Andere wie Atlantis oder Magic 69 fanden immerhin national Beachtung und waren erste Betätigungsbereiche für Namen wie Boris Bukowski oder Günter Timischl, das spätere "T" in STS.

Neben ihrem historischen Verdienst besitzt diese Sammlung mitunter auch anekdotische Qualitäten. Schließlich belegen diverse Besetzungslisten, dass so manch honoriger Bürgermeister, so manch stattlicher Dorfpolizisten von heute in seiner Jugend selbst ein wilder Hund war.

Seltsam? Aber so steht es geschrieben ... (Karl Fluch/DER STANDARD, Printausgabe, 29. 12. 2010)