Lotte Weiss
Meine zwei Leben. Erinnerungen einer Holocaust-Überlebenden.
(Inklusive DVD mit Video-Interview und Fotografien)
LIT-Verlag, Bd. 31, 2010,
208 S., 24.90 EUR,
ISBN 978-3-643-50225-4

Foto: LIT Verlag

"Unsere Geschichten von Hunger, Durst, Schlägen, Demütigungen, Sadismus und der völligen Entmenschlichung sind alle verschieden. In unseren dunkelsten Momenten völliger Hoffnungslosigkeit schien es nur einen Weg nach draußen zu geben - den durch den Schornstein. Aber einige wenige hatten das Glück, dass ein Wunder - in der Tat mehrere Wunder - passierte. Der Allmächtige hat uns unser Leben zurückgegeben. Dafür bin ich ewig dankbar." (Lotte Weiss)

Lotte Weiss war 18 Jahre alt, als sie wegen ihrer jüdischen Herkunft über Nacht von ihrer Heimatstadt Bratislava ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert wurde. Von ihrer achtköpfigen Familie überlebte nur sie. "Ich hörte auf, ein Mensch zu sein, eine Person mit einem Namen, mit einer Zukunft", schreibt Lotte Weiss in ihren, mit Hilfe ihres Enkels Benjamin Weiss nun auch auf Deutsch erschienenen, Memoiren "Meine zwei Leben".

Nur durch Wunder und unglaubliche "Zufälle" überlebt Lotte Weiss die 38 Monate Schrecken der fünf Konzentrationslager, an die sie sich in ihrem Buch zurückerinnert. Mehrere Male entrinnt sie nur knapp dem Tod. Mit ihrer Befreiung aus dem KZ Theresienstadt beginnt im Mai 1945 ihr neues, "zweites" Leben: Lotte Weiss kehrt nach Bratislava zurück, überwältigt von ihren schrecklichen Erfahrungen: "Die, die nicht durch dieselbe Hölle gegangen waren, konnten unsere Gefühle nicht verstehen. Im Allgemeinen sahen uns die Leute auf der Straße erstaunt an und schienen überrascht, dass überhaupt jemand zurückgekommen war. Wir empfanden es fast so, als müssten wir uns dafür entschuldigen, dass wir überlebt hatten! In ein Gefühl der Fassungslosigkeit mischte sich der Schock, verschont worden zu sein."

In Bratislava lernt Lotte wenig später ihren künftigen Mann Ali kennen - wie sie ein Auschwitz-Überlebender. Mit ihm wandert sie 1949 zu dessen Bruder nach Neuseeland aus: "Unsere Herzen waren voller Freude; mein Geburtsort war eine Alptraumstadt für mich geworden", schildert sie den Tag der Abreise. "Ich konnte nicht auf der Straße gehen, ohne zu weinen und an meine geliebte Familie zu denken, mit der ich glückliche Jahre verbracht hatte - vor langer, langer Zeit."

Zukunft in einem neuen Land

Trotz all ihrer Erlebnisse blickt Lotte optimistisch in ihre Zukunft in einem neuen Land. 1952 wird ihr erster Sohn John Michael geboren, 1953 ihr zweiter Sohn Gary: "Das war eine Zeit, in der ich Gott für mein Überleben dankte und für den Segen, dass Ali und ich Leben schenken durften", beschreibt sie ihre damaligen Gefühle.

Bis zum Tod von Lottes Mann 1982, nach 35 Jahren gemeinsamer Ehe, lebt das Paar in Wellington. 1986 reist Lotte ihren Söhnen nach Sydney nach, wo sie bis heute lebt. Nur langsam beginnt sie als Zeitzeugin mit der Aufarbeitung und Erzählung ihrer Lebensgeschichte für die Nachwelt, das erste Radiointerview gibt sie im Februar 1979: "Als ich zum ersten Mal meine Geschichte erzählt hatte, fühlte ich Erleichterung, dass Leute allgemein wissen wollten, was sich damals ereignet hatte - endlich! Selbst mit guten Freunden (...) hatte ich nie über meine Erfahrungen gesprochen", schildert sie.

"My two lives"

Gemeinsam mit anderen Überlebenden beteiligt sich Lotte am Aufbau des 1992 eröffneten Holocaust-Museums in Sydney, wo sie als freiwillige Museumsführerin arbeitet. In dieser Zeit hat sie erstmals die Idee, ihre Memoiren zu veröffentlichen. 2003 wird ihr Buch "My two lives" an ihrem 80. Geburtstag in Sydney erstmals präsentiert: "Ich fühlte eine persönliche Verpflichtung all jenen Familienmitgliedern gegenüber, die ich verloren hatte und all jenen gegenüber, die so gnadenlos ermordet worden waren. (...) Ich wollte mein Buch in der Hoffnung schreiben, dass die Menschen es als Warnung sehen und die Gefahren erkennen würden, damit solche Gräueltaten nie wieder geschehen." (isa/dieStandard.at, 30.12.2010)