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Nackte Körper auf der Bühne sind nach wie vor ein Tabuthema. Dass diese jedoch keine Erfindung eines skandalheischenden Regietheaters sind, sondern das Stilmittel der Nacktheit ein Spiegel des vorherrschenden Körperverständnisses ist, zeigt Ulrike Traub in ihrer Dissertation am Institut für Theaterwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum.

Ihre Analyse der Nacktheit auf der Bühne in drei Zeitabschnitten seit 1900 belegt, dass die Nacktheit auf der Bühne nie reines Modethema ist, sondern immer Spiegel des gegenwärtigen Körperverständnisses und Zivilisationskritik. "Sie ist notwendig, um zu zeigen, wie unfrei der Körper und damit letztendlich der Mensch selbst ist", resümiert die Forscherin. Ihre Arbeit ist unter dem Titel "Theater der Nacktheit" im Transcript Verlag erschienen.

Von der "Lebensreform" ...

Im Deutschen Kaiserreich und der Weimarer Republik spielt die "Lebensreform eine große Rolle, die Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland entstand. Ziel war der gesellschaftliche Wandel durch die Verbesserung und Stärkung des menschlichen Körpers in einer sozial und körperlich degenerierten Welt. Luftbäder galten zum Beispiel als heilsam.

Tänzerinnen verzichteten zunächst auf die Spitzenschuhe und schließlich ganz auf jede Bekleidung. Zur Legitimation ihrer Nacktheit beriefen sie sich auf Religion, Schönheit, Antike und Natur.

... zur Entbürgerlichung

Im zweiten Teil der Arbeit stehen die späten 1960er und frühen 1970er Jahre im Mittelpunkt: Die Studentenrevolte bekämpft die bürgerliche Ordnung, fordert die Liberalisierung der Sexualität und rückt das Private in den politischen öffentlichen Raum. So wird die zuvor tabuisierte Nacktheit öffentlich. Diverse Inszenierungen sprechen die ZuschauerInnen direkt an und beziehen sie ins Geschehen ein; es soll eine intime Beziehung zwischen ihnen und den DarstellerInnen entstehen.

Viele Inszenierungen wie auch die Protagonisten des Wiener Aktionismus stellen den nackten Körper in den Mittelpunkt oftmals schockierender und ekelerregender Aktionen, welche sich gegen das Primat des Schönen in der Kunst richten und bewusst auf Sprache verzichten. Im dezivilisierten Körper schlägt sich die Entbürgerlichung nieder.

Gegenwart

In der Gegenwart hat der nackte Körper durch die Medien und die Werbung seinen festen Platz in der Öffentlichkeit erobert. Die frühere Privatsache ist zum Konsumgut geworden, mit dem sich Waren verkaufen lassen und um das sich verschiedene Industriezweige gebildet haben. Nackte Körper sind erlaubt, solange sie perfekt sind: "Hier muss man ganz genau hinschauen, um zu erkennen, wie die sehr unterschwelligen zivilisatorischen Normen infrage gestellt werden", so die Forscherin. Denn vordergründig erscheint die Gesellschaft tolerant, nackte Körper dürfen gezeigt werden - aber nur solange sie perfekt sind.

"Es herrscht ein striktes Schönheitsgebot, das den Körper einem Leistungszwang unterwirft. Die genetische Determination wird nicht akzeptiert, stattdessen werden Körper operiert oder Titelbilder mittels Bildbearbeitungsprogrammen manipuliert, bis als Resultat ein uniformierter, entindividualisierter Körper entsteht", erläutert Traub. "Ästhetische Normen sind an die Stelle der moralischen getreten, der Körper ist versklavt. Diesem Druck setzt das Theater bewusst den neutralen oder gar hässlichen Körper entgegen."

Individualisierung

Als ein Beispiel der bewussten Entgegensetzung führt die Forscherin die "New Burlesque" an, bei der der weibliche Körper in einer glamourösen Inszenierung entkleidet wird. Im Gegensatz zu anderen Formen des Striptease treten hier auch Tänzerinnen auf, deren Körper nicht der idealisierten Norm entsprechen. Die überwiegend subkulturelle Bewegung der "New Burlesque" fordert Frauen explizit auf, zu ihrem eigenen, individuellen Körper zu stehen und diesen selbstbewusst vor Publikum zu inszenieren. Damit wird die Individualität des Körpers betont und mithilfe der Nacktheit visualisiert und verdeutlicht.

Die von Traub untersuchten Inszenierungen stammen meist aus dem Bereich des Tanzes: "Es gibt nur wenige Schauspiel-Inszenierungen, welche in einem derartigen Umfang das Stilmittel Nacktheit gebrauchen, dass sie sich für die Untersuchung qualifiziert hätten", stellt die Autorin fest. "Es zeigt sich aber, dass die Nacktheit ein hervorragendes Ausdrucksmittel ist, wenn der Sprache die Vermittlung von Inhalten nicht mehr zugetraut wird." (red)