Sylvia Kirchengast ist Femtech-Expertin des Monats.

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Das Interesse für die Natur und das Leben an sich hat sich bei Sylvia Kirchengast recht früh abgezeichnet. In der Wiener Wohnung, wo sie aufwuchs, hielt sie sich schon im Volksschulalter Molche, Schnecken und Vögel. "Die Eltern haben das mitgetragen", sagt Kirchengast, heute Humanbiologin am Institut für Anthropologie der Universität Wien. Der Vater kaufte ihr fortan anspruchsvolle Bücher über die Tierwelt, die Großmutter las sie ihr vor. "Das hat bestimmt eine wichtige Rolle für meine Laufbahn gespielt", sagt Kirchengast, die von der Femtech-Initiative des Verkehrsministeriums zur Expertin des Monats Jänner ernannt wurde.

Nach dem naturwissenschaftlichen Gymnasium hat Kirchengast sich von den Tieren auf die Menschen verlegt. Zuerst wollte sie Medizin oder Archäologie studieren, dann begann sie mit Urgeschichte und Germanistik, bevor sie bei Biologie und Anthropologie landete. "Da war alles drin." Später legte sie mit dem Studium der Ethnologie und Psychologie noch eins drauf - "weil man neben der biologischen immer auch die kulturelle Seite betrachten muss."

Bei der Suche nach einem Dissertationsthema stieß sie zufällig auf ein Buch über die Wechseljahre - und entschied sich spontan dafür, sich näher mit den anthropologischen Aspekten des Klimakteriums zu befassen. Unterstützung bekam sie vom bekannten AKH-Mediziner Johannes Huber, der ihr Doktorvater wurde. Reproduktion und Alterungsprozesse gehören bis heute zu ihren vielfältigen Arbeitsschwerpunkten. Dabei erforscht sie die biologischen und externen Einflüsse auf die "body composition", vor allem was Geschlechtsunterschiede bei Körperfettanteil, Muskelmasse, Knochenmasse und -dichte betrifft.

Eine besondere "Vorliebe" hatte Kirchengast immer schon für das wenig beliebte Körperfett und seine evolutionsbiologische Bedeutung, etwa als lebenswichtiges Speicherorgan oder als essenziellen Bestandteil erfolgreicher Reproduktion. In einem aktuellen Projekt widmet sie sich der Abnahme der Muskelmasse im Alter und dem Einfluss von Bewegungsmangel. "Jeder hat Angst vor Fett, der Abbau von Muskeln wird aber kaum wahrgenommen."

Wie stark sich Umwelt- und Lebensbedingungen auf krankhaftes Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen niederschlagen, untersucht die Mutter einer 17-jährigen Tochter schon länger. In ihrem nächsten Projekt geht sie dem Phänomen in Ägypten nach.

"Gerade in Entwicklungs- und Schwellenländern steigt die Zahl von Übergewichtigen und Adipositaskranken rapide an", sagt Kirchengast. "In dem Gebiet in Ägypten, das wir untersuchen wollen, passiert gerade eine massive Veränderung der Lebensgewohnheiten hin zum American Way of Life. Die regionale Nahrungsmittelproduktion wird zunehmend durch Importe ersetzt." In Kooperation mit internationalen Forschern will Kirchengast in einem Langzeitprojekt die Auswirkungen dieser Übergangsperiode auf Kinder und Jugendliche beobachten.

Daneben widmet sich Kirchengast auch einmal gern "kuriosen" Dingen: Etwa einem internationalen Vergleich der Mindestgröße für Polizeianwärter im Auftrag des Innenministeriums. "Ich würde es wahnsinnig langweilig finden, mich das ganze Leben lang, sagen wir mit Unterkieferwinkel zu beschäftigen. Dazu habe ich viel zu viele Interessen." (Karin Krichmayr/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19.1.2011)