Es war eine seltsam aufgesetzte Rede des Kanzlers, zu gewollt, zu inszeniert, ansatzlos patriotisch. Wobei das Ereignis nicht überinszeniert war: Leute stehen herum, der Vizekanzler erklimmt das Podium, hält eine Rede, dann der Kanzler. Es ist ein Appell: "wir" und "gemeinsam". Es scheint darum zu gehen, das Land zu retten, wir gemeinsam, ganz jovial. Dann verlässt der Kanzler das Podium, ratlos stehen Leute herum. Es werden Schnitzelsemmeln gereicht. Wahlweise Leberkäse. Sehr österreichisch. Sowohl der Kanzler als auch die Semmeln.

Auch der renitenteste Besucher hat es am Schluss verstanden: Es geht um das Gemeinsame. Das haben Kanzler und Vizekanzler oft genug betont, und immerhin: Sie traten zu ihrem Neujahrsempfang gemeinsam auf. Ein "Signal", wie beide betonten. Sonst hätte man es für selbstverständlich halten können.

Was dem Kanzler abseits einer irritierenden Inszenierung gelungen ist: den Führungsanspruch zu unterstreichen. Als ob jemand nach der Rede von Josef Pröll das Mikro lauter gestellt hätte. Während Pröll sich müde wirkend in seiner Rede verlor, setzte der Kanzler klare Botschaften ab. Mut zu Reformen. Hier gab einer den Ton an und die Themen vor.

Das Gemeinsame vor das Trennende stellen, betete der Kanzler vor. Und er sprach auch das Trennende an: Schule, Wehrpflicht. Wenn das nicht gemeinsam geht, dann eben einsam: Die Wehrpflicht sei nicht mehr zeitgemäß, dozierte Faymann. Wenn die ÖVP das nicht gemeinsam mit der SPÖ erkennen könne, werde es eine Volksabstimmung geben. War das etwa eine Drohung? Selbstverständlich.

Auch beim Schulthema treibt die SPÖ die ÖVP derzeit vor sich her. Vor einem Jahr war das noch anders, da hatte man den Eindruck, die ÖVP ziehe die SPÖ bei jeder Gelegenheit über den Tisch und der Kanzler sei viel zu weich und nachgiebig. Da hat Faymann tatsächlich nachgebessert, und Pröll hat noch keinen Weg gefunden, wieder in die Spur zu kommen.

Faymann scheint zumindest zu wissen, was er will. Jetzt muss er es umsetzen. 2011 wird er an seinen eigenen Ansprüchen gemessen: Mut zu Reformen. Das ist das Thema. Da wird er sich selbst noch einen Ruck geben müssen, um über die hohle Kampfrethorik und das seltsam sinnentleerte Pathos seiner Ansprache hinauszusteigen. Wenn Faymann an das "Wir" appelliert: An "uns" liegt es nicht. (Michael Völker, DER STANDARD, Printausgabe, 20.1.2011)