Tübingen/Berlin - Am Donnerstag hat der Deutsche Bundestag den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Bekämpfung von Zwangsheirat verhandelt. Der Entwurf war am 27. Oktober letzten Jahres vom Bundeskabinett beschlossen worden und hat Zwangsheirat als eigenen Straftatbestand eingeführt, der mit bis zu fünf Jahren Haft geahndet wird. Das neue Strafgesetz umfasst ausdrücklich auch den Vorgang, dass eine Frau unter Vortäuschung falscher Tatsachen ins Ausland gebracht, dort zur Ehe gezwungen und an der Rückkehr nach Deutschland gehindert wird.

Die Frauenrechtsorganisation Terres des Femmes begrüßt, dass nach mehr als fünf Jahren parlamentarischer Debatte die Zwangsverheiratung ein eigener Straftatbestand werden soll. Besonders erfreulich sei die deutliche Verlängerung des Rechts auf Wiederkehr für Frauen und Männer, die im Ausland gegen ihren Willen verheiratet wurden. Die Erhöhung der Ehebestandszeit von zwei auf drei Jahre allerdings ist Hilfseinrichtungen und Frauenorganisationen im ganzen Bundesgebiet ein Dorn im Auge und hat zu Protesten geführt. Auch der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme im Dezember darum gebeten, "die Anhebung der Mindestbestandszeit einer Ehe zur Begründung eines eigenständigen Aufenthaltsrechts noch einmal zu überprüfen".

Die Bundesregierung begründet die Neuregelung mit "Wahrnehmungen aus der ausländerbehördlichen Praxis", dass durch die im Jahr 2000 von vier auf zwei Jahre verkürzte Mindestbestandszeit der Anreiz für die Eingehung einer Scheinehe gesteigert würde. Die nackten Zahlen sprechen eine andere Sprache, insistiert Terre des Femmes: Das Bundesinnenministerium musste einräumen, dass im Jahr 2000 mehr als drei Mal so viele Scheineheverdachtsfälle bestanden wie im Jahr 2009.

Protest für 2-Jahres-Regelung

In einem diese Woche veröffentlichten Appell an Bundeskanzlerin Merkel, Bundesregierung und Bundestagsabgeordnete fordert Terre des Femmes gemeinsam mit Organisationen wie pro asyl, dem Verband binationaler Ehen und Partnerschaften, den Dachverbänden der deutschen Frauenhäuser und zahlreichen Anwältinnen, Journalistinnen und Frauenrechtlerinnen, die 2-Jahres-Regelung beizubehalten.

"Ein Gesetzentwurf zur Bekämpfung von Zwangsheirat, der gleichzeitig die Abhängigkeit vom Ehepartner um ein weiteres Jahr verlängert, ist der blanke Hohn", kommentiert die Terre des Femmes-Geschäftsführerin Christa Stolle das Gesetzesvorhaben. "Zwar existiert eine Härtefallregelung für von Gewalt betroffene Frauen. Sie bietet in der Praxis allerdings keine sichere Handlungsoption und ist daher ungeeignet, die Betroffenen zu schützen", so Stolle weiter.

Mit einer Protestaktion vor dem Deutschen Bundestag forderte die Frauenrechtsorganisation am Donnerstag die Abgeordneten auf, anstatt "parteipolitischer Interessen die Betroffenen in den Mittelpunkt der Verhandlungen zu stellen".

Gesetzeslücke

Zudem kritisiert Terre des Femmes, dass die Änderung des §6 StGB im vorliegenden Gesetzentwurf nicht mehr enthalten ist. In den vom Bundesrat beschlossenen Gesetzentwürfen war diese Strafrechtsänderung ein wichtiger Bestandteil, denn nur dadurch wird eine sogenannte Ferienverheiratung in jedem Fall strafbar. Das neue Gesetz bestraft Täter ohne deutschen Pass, die eine Ausländerin im Ausland gegen ihren Willen verheiraten, nicht - auch wenn alle Beteiligten ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben.

Wieviele Mädchen und Frauen von Zwangsverheiratung betroffen sind, ist weder in Deutschland noch in Österreich klar. Repräsentative Studien gibt es nicht. In Deutschland wird die Zahl der Betroffenen seit 2005 auf 10.000 geschätzt.

Nötigung

In Österreich dürften es im selben Zeitraum an die 1.000 sein. Mit dem novellierten Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz können gewaltbedrohte Frauen hierzulande seit 2009 eine eigenständige Niederlassungsbewilligung erhalten. Ein eigener Straftatbestand wurde noch nicht eingeführt: In Österreich fällt Zwangsverheiratung unter Nötigung und wird - ebenso wie in Deutschland vor und nach der Neuregelung - mit bis zu fünf Jahren Freiheitsentzug bestraft. (red)