"Quälfleisch" nennt Duve Fleisch aus Massentierhaltung und kritisiert die herrschende Zweiklassengesellschaft für Tiere.

Zur Person:
Karen Duve (49) arbeitete 13 Jahre als Taxifahrerin in Hamburg. Seit 1990 ist sie freie Schriftstellerin. Von ihr erschien u. a. der Roman "Taxi" (Eichborn, 2008) und "Anständig essen" (Galiani, 2011).

Foto: Foto: H. Postel

Mia Eidlhuber sprach mit Karin Duve über das gleichnamige Buch.

Standard: Am Ende Ihres Selbstversuchs "Anständig essen" erlauben Sie sich, Bio-Fleisch zu essen. Essen Sie wieder Fleisch?

Duve: Ich habe mir das zugestanden, weil ich Angst hatte, mir die Latte zu hoch zu legen und meine Vorsätze nicht durchzuhalten. Ich habe nach dem Buch nur einmal Fisch probiert und gemerkt, dass es mir das nicht mehr wert ist. Seitdem lebe ich vegetarisch. Ich esse kein Fleisch und keinen Fisch und versuche mich bei Milchprodukten zurückzuhalten.

Standard: Gilt das auch für Eier?

Duve: Nein, die Eier meiner eigenen Hühner esse ich. Da weiß ich ja, wie die gehalten werden.

Standard: Kam Ihnen die Idee zum Buch spontan, oder arbeitete das Thema schon länger in Ihnen?

Duve: Die Idee brodelte in mir schon seit Jahren. Ich wollte ein Buch zum Thema schreiben, scheiterte aber an einer Frage: Wie kann ich sagen, wie schrecklich der Umgang mit Tieren ist, wenn ich selbst diese Art Fleisch esse.

Standard: Hatte Ihr Umzug aufs Land einen Einfluss?

Duve: Auf dem Land hatte ich plötzlich mit Tieren zu tun. Ich bekam eine klare Vorstellung davon, wie aufwändig es ist, Tiere zu halten. Bei niedrigen Fleischpreisen dachte ich: Das kann nicht mit rechten Dingen zugehen. Mein Misstrauen stieg stetig.

Standard: Sie haben Ihr Buch aus Mitgefühl für Tiere begonnen und sind bei den globalen Fragen unserer Gesellschaft wie der Erderwärmung gelandet. War Ihnen klar, worauf Sie sich da einlassen?

Duve: Nein. Es wird ja gerne belächelt, wenn man Tiere gern hat und nicht möchte, dass Tiere gequält werden. Aber letzten Endes ist die Basis einer Gesellschaft das Mitgefühl. Ethik und Mitgefühl bedingen einander. Was Tiere betrifft, haben wir eine Zweiklassengesellschaft. Haustiere haben nicht den Stellenwert von Menschen, aber den von Familienmitgliedern. Es gibt einen Konsens, dass diese Tiere nicht gequält werden dürfen. Wenn jemand einen kleinen Hund in die Mülltonne wirft, schlägt das Wellen. Gleichzeitig agiert die Massentierindustrie unbehelligt vor sich hin und macht Dinge, die niemand gutheißen würde. Die Verbraucher ziehen es vor, davon keine Kenntnis zu nehmen, weil man weiter billiges Fleisch essen möchte.

Standard: Wie sind die Reaktionen auf Ihr Buch?

Duve: Manche Leute scheinen zu befürchten, dass ich mich moralisch über sie erheben will, was womöglich auf ein schlechtes Gewissen schließen lässt. Aber sonst spüre ich dem Thema gegenüber eine große Offenheit. Viele stehen an dem Punkt, an dem auch ich stand: Das Unbehagen an den eigenen Essgewohnheiten wird immer größer, aber man hat noch keine Konsequenzen gezogen.

Standard: Hat sich auch in anderen Bereichen Ihr Bewusstsein verändert? Fliegen Sie noch?

Duve: Diese Woche fliege ich leider, nach Zürich und nach Wien. Sonst versuche ich das Flugzeug zu meiden und alle Strecken mit der Bahn zu machen. Nicht nur aus ethisch-moralischen Gründen - ich habe auch Flugangst.

Standard: In westlichen Gesellschaften gibt es von allem zu viel. Sie wollen sich im nächsten Jahr jeden Tag von einem Gegenstand aus Ihrem Besitz trennen. Sind wir reif für eine neue Bescheidenheit?

Duve: Ich denke, dass mehr Besitz nicht immer mehr Lebensqualität bedeutet, sondern oft eine Last ist. In Amerika soll es diesen Trend bereits geben, dass man sagt: Weniger ist mehr. Es macht nicht unbedingt glücklich, achtzehn Jeans im Schrank zu haben. Eigentlich täten es auch zwei. Wer viele Dinge besitzt, braucht eine größere Wohnung, ein größeres Haus, um alles unterzubringen. Wenn man weniger hat, spart das schon wieder Ressourcen.

Standard: Was müsste passieren, dass auf der Welt weniger Fleisch gegessen würde?

Duve: Der Übergang müsste fließend sein. Es ist schon hart genug, wenn man langsam eine Agrarwende einleitet. Wir müssten aufhören, die riesigen Mastanlagen zu subventionieren, und wieder umverteilen auf die kleinen Bauern. Wenn man die Kosten für die Grundwasserverschmutzung nicht mehr der Allgemeinheit aufbrummt, sondern dem Verursacher in Rechnung stellt, würden sich die Fleischpreise schnell wieder angleichen. Es braucht klare Gesetze, die eine bestimmte Art von Tierquälerei nicht erlauben. Es wäre nicht mehr erlaubt, so viele Tiere zusammenzusperren, Tiere zu verstümmeln, damit mehr auf kleinen Raum passen. Es dürfte keine Frage sein, ein Weidetier an die frische Luft zu lassen, es Gras fressen zu lassen.

Wenn das einmal die Vorgaben sind, dann wird es einfach nicht mehr möglich sein, Fleisch so billig zu produzieren. Dann werden wir weniger Tiere haben und weniger Tiere essen.  (DER STANDARD, Printausgabe, 21.1.2011)