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Foto: APA/ Paul Hilton

Peking - Der selbst ernannte Hexenmeister, ein "Shenhan", kam am Nachmittag in das Dorf tief in der Provinz Hunan. Schon vom Eingang aus rief er die Bauern zusammen. Er warnte sie vor Unheil und Schrecken einer nahenden Katastrophe, die mit der furchtbaren Lungenentzündung Sars (Schweres Akutes Respiratorisches Syndrom) zu ihnen komme. Nur der Buddha "Guanyin Pusa", die Göttin der Barmherzigkeit, könne noch helfen.

Er verbreitete "panische Angst". "Es dauerte keine zwei Stunden. Dann kniete fast jede Familie im Dorf vor ihren Hausaltären und zündete Räucherstäbchen und rote Wachskerzen an. Manche brannten Feuerwerkschnüre ab. Andere warfen sich zu Boden und flehten zum Himmel." So beschrieb der Reporter der Jugendzeitung Zhongguo Qingnian in Hunans Provinzhauptstadt Changsha die panischen Szenen, die sich 80 Kilometer südlich der Hauptstadt unter Abergläubischen abspielten.

Massenhaft Gerüchte Auch in den benachbarten Dörfern schwirrten die Gerüchte über "Feidian", wie Sars auf Chinesisch heißt, "nur so durch die Luft". Ausgerechnet in der Heimatprovinz des Großen Vorsitzenden Mao Zedong hat der Aberglaube Hochkonjunktur.

Seit Peking mit einer landesweiten Mobilisierung versucht, das Übergreifen der Epidemie aus den Städten auf das Land zu verhindern, suchen die Bauern wieder verstärkt Schutz bei ihren alten Heiligen. Sie glaubten aber auch die sich blitzschnell verbreitende Mär von einem in der Stadt Changde geborenen Baby. Das redete sofort nach der Geburt und empfahl ein regionales Getränk aus Bohnensaft als Mittel gegen Sars. Überall standen die Bauern an, um es zu kaufen.

Abwehr der Geister Auch in anderen Provinzen lebt der alte Bauernglaube wieder auf. Dörfer pilgern zu daoistischen oder buddhistischen Tempeln und lassen Feuerwerkskörper abbrennen, um die bösen Geister abzuwehren. Ihren Aberglauben nutzen selbst ernannte Hexen und Zauberer, um sich zu bereichern.

Dieser Aberglaube könnte aber rasch auch schwere Unruhen und Revolten auslösen, wenn sich die Sars-Epidemie unter den Bauern ausbreitet. Die Provinzführungen in Henan, Hubei oder Hunan sind alarmiert. Aus ihren Dörfern strömten einst Hunderttausende Wanderarbeiter zur Jobsuche in die heutigen Infektionsgebiete wie Peking, jetzt flüchten sie wieder nach Hause.

Hunans Verwaltung hat inzwischen 80.000 Beamte mobilisiert: Jedes Dorf und jede Bauernfamilie soll über die Gefahr aufgeklärt werden; wie sich die Epidemie verbreitet, gegen die keine Dämonenbeschwörer, sondern nur Vorbeugung und Hygiene helfen. (Johnny Erling aus Peking, DER STANDARD Printausgabe 10/11.5.2003)