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Sieht langsamer aus, als es tatsächlich ist. Rentiere rennen nämlich sehr schnell - allerdings nur, wenn sie Lust dazu haben.

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Sobald die Leine des Schlittens gelöst ist, rasen die Hunde los. Das Bellen verstummt, bis zu 30 km/h schaffen die Hunde.

Foto: APA/Rainer Jensen

Es ist nur ein ganz feiner Pfiff. Wer nicht weiß, dass er das Signal zum Aufbruch ist, wird ihn nicht wahrnehmen. 40 Huskys warten schon darauf und bellen in höchster Aufregung.

"Sie wollen arbeiten" , sagt Reijo Jääskeläinen, einer der berühmtesten Hundeschlittenführer Lapplands. Früher ist er Rennen gefahren, heute leitet er Safaris durch Finnlands Norden, von Levi nahe dem Polarkreis bis nach Norwegen zum Beispiel. Heute geht die Tour mit drei Schlitten zu je zwölf Hunden aber nur über zehn Kilometer.

Warm eingepackt werden Touristen durch die eisigen Weiten zugefrorener Seen gezogen. Sobald die Leine des Schlittens gelöst ist, rasen die Hunde los. Das Bellen verstummt, bis zu 30 km/h schaffen die Hunde.

Zahme Wölfe und Polarfüchse

Safaris nennt man hier in Lappland diese Ausflüge im Schnee. Dass ursprünglich arabische Wort für "Reise" passt auch bei minus 20 Grad ganz fantastisch. Statt Löwen, Nashörner und Elefanten kann man hier Wölfe, Polarfüchse, Huskys oder Rentiere aus nächster Nähe sehen und fotografieren.

Bei Jääskeläinen hat man vielfältige Möglichkeiten, denn neben dem Hundeschlittengeschäft zähmt er auch Wölfe und Polarfüchse - für Hollywoodfilme, wie er sagt. Acht Pfleger kümmern sich um 120 Tiere, die auch bei minus 30Grad gemütlich im Schnee liegen. Neben ihren Hundehütten "wachsen" gelbliche Eistürme - es ist Urin, der in Sekundenschnelle gefriert - "Uriniten" könnte man sagen. Die Augen der Wölfe hier wird niemand so schnell wieder vergessen.

"Jussi oiken, oiken Jussi, tsch, tsch" , schreit der ansonsten schweigsame Reijo am Schlitten plötzlich.

Teil der Meute

Der Anführerhund Jussi ganz vorn gehorcht dem Befehl, zieht die Hunde hinter sich nach rechts und bleibt stehen. Jussi ist Rejios bester Hund, sein Leithund und direkter Kontakt zur Meute, die darauf trainiert ist, Jussi zu folgen. "Generell" , sagt Reijo, "sind die besten Läufer aber immer auch die größten Idioten" , und vielleicht, schmunzelt er, sei das ja sogar eine allgemeingültige Regel.

Finnischer Humor ist hintergründig. In Levi, 200 Kilometer vom Polarkreis entfernt, beginnt jedes Gespräch mit der Nennung des aktuellen Temperaturstands. Minus 15 gilt fast als warm, und je kälter und klarer das Wetter, umso höher die Chance, Polarlichter zu sehen. Auch sie sind Teil des Jagdkonzepts einer Safari im Norden.

Zeit dafür gibt es genug, denn nur rund fünf Stunden pro Tag ist es jetzt im Jänner hier überhaupt hell: von zehn Uhr Vormittag bis drei Uhr Nachmittag. Und auch da überwiegt eine Mischung aus Morgen- und Abenddämmerung. Das macht aber tatsächlich nichts, denn als Licht gewohnter Mitteleuropäer können auch die Facetten von Grau und Blau wirklich atemberaubend sein.

Kälte jedenfalls fürchtet hier niemand, im Gegenteil das Minusgradzählen ist in Levi sogar eine Art Sport - und Ausrüstung ein ebenso zentraler Weg zum Erfolg wie die psychologische Grundeinstellung.

Die dicksten Stiefel, die besten Overalls und die wärmsten Hauben kann man in Levi praktisch überall ausleihen; wie überlebensnotwendig sie sind, weiß jeder, der länger als eine halbe Stunde in der frischen Luft ist, etwa beim Skifahren auf flutlichtbestrahlten Pisten (für alpingewohnte Skifahrer sind die Pisten in Levi trotz Weltcup-Abfahrt einfach zu kurz, für Snowboarder allerdings dank Halfpipes und Schanzen in sämtlichen Dimensionen ein Paradies) oder beim Lenken eines Rentierschlittens.

Rentieressen am Abend

Auch diesen Tieren ist eine der Safaris hier im hohen Norden Lapplands gewidmet, wo zwischen 200.000 und 300.000 Exemplare leben und sich von Flechten aus den Bäumen, die sie mit ihrem langen Geweih herunterfangen, ernähren.

"Sie zu zähmen und zu Zugtieren zu machen ist ein sehr langwieriges Unterfangen und dauert drei bis vier Jahre", erzählt die Rentierfarmerin Johanna, weil die Tiere stur und eigentlich tendenziell lernunwillig seien. Dafür sind jene, die den Schlitten eines Tages akzeptieren, besonders schnell - und süchtig nach Belohnung. Wer nach der Ausfahrt durch den verschneiten Wald nicht sofort die Flechten aus dem von Johanna bereitgestellten Eimer in die Mäuler der Tiere stopft, wird heftig gestupst. Einige finden das lustig, andere weniger, die genießen das Rentieressen am Abend dafür umso mehr.

Apropos Essen: Silvio Berlusconi soll bei einem EU-Gipfeltreffen einmal gesagt haben, dass die finnische Küche die schlechteste Europas sei. Fischsuppen sind nicht jedermanns Sache. In Finnland löste das Urteil des italienischen Staatschefs jedenfalls einen Skandal aus. In der finnischen Pizzeria-Kette Koti Ravintola gibt es seit damals eine "Pizza Berlusconi" - mit Rentierfleisch belegt.

Ritt auf den arktischen Katzen

Eine nordische Safari der unvergesslichen Art ist auch der Ritt auf den arktischen Katzen, so der Name der Schneemobile, mit denen die Menschen hier durch Wälder und über Seen preschen. Die Griffe und das Gaspedal der arktischen Katzen sind jedenfalls beheizt. Der Geschwindigkeitsrausch setzt spätestens nach einer Stunde ein, dann nämlich, wenn man als Neuling verstanden hat, wie sich der Motorschlitten optimal steuern lässt. Der Führer der Schneemobiltouren in Levi heißt Thomas und kommt aus Deutschland. Er hat das Privileg, auf einem arktischen Bären mit Viertaktmotor zu sitzen. Früher ist er Rennen gefahren, und 160km/h sind da keine Seltenheit.

Auch 60 km/h erscheinen schon ziemlich rasant, jedenfalls sitzt jedem nach zwei Stunden trotz Handheizung die Kälte in den Knochen. Sauna heißt dann die finnische Antwort und hat mit dem, was wir in unseren Breiten kennen, eigentlich recht wenig zu tun.

Das Eisloch ist zentraler Bestandteil des Schwitzbades, das idyllisch am See gelegen ist. Draußen hat es minus 20, innen 90, und der Körper nimmt den Temperaturunterschied von 110 Grad mit Grandezza. Plötzlich merkt man, wie man sich in der Hitze endlich entspannt, der Blick schweift aus der Sauna raus in die idyllisch verschneite Landschaft, die durch Lichterketten immer ein bisschen weihnachtlich wirkt.

Im Eisloch schwimmen

"Wir brauchen die Lichter zur Aufheiterung" , hat man noch am Nachmittag bei der Schneeschuhwanderung erfahren. Gefroren hat man nicht, aber kalt war es schon. Wer Glück hat, erlebt auf der schlichten Holzbank in der schummrigen Sauna dieses unendlich wohlige Gefühl der Geborgenheit, das aus dem Inneren des Körpers aufsteigt und auch dann nicht aufhört, wenn man über eine Leiter ins Eisloch hinuntersteigt. Da spürt man sich plötzlich gar nicht mehr, nur die ganz Unerfahrenen schreien vor Schreck. Finnen schweigen.

Wer danach splitternackt draußen auf dem zugefrorenen See in der eisigen Kälte spazieren geht, und das ohne dicke Stiefel, Overall und Vollvisierhaube, der fühlt etwas substanziell Neues, nämlich den Sieg über die Natur, ein Stärkersein als die Kälte. Das geht weit über den Reinigungsakt in der Sauna hinaus.

Gewöhnlich wird das dann ja auch gefeiert - mit finnischem Apfel-Cider, Gin-Softdrinks oder Lapin-kulta-Bier, und da macht es auch nichts aus, dass die Kollegen, die aus der finnischen Rauchsauna kommen, wie die Speckschwarten aus der Selchkammer riechen. Euphorie nach dem Schwitzbad verbindet, da schwört man sich, in Kontakt zu bleiben, sich sämtliche fotografischen Jagdtrophäen zu mailen und stößt auf die Huskys, die Rentiere, Schneekatzen, die tranige Fischsuppe und sogar auf die Pizza Berlusconi im ewigen Eis an. (Karin Pollack/DER STANDARD/Printausgabe/21.01.2011)

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