Günter Wels, "Maitage. Erzählungen". € 19,80 / 273 Seiten. Czernin Verlag, Wien 2010

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Im Rennen um den Titel der hässlichsten Stadt Österreichs liegt Wels neben Liezen und Wien eigentlich immer ganz gut. Dennoch scheinen die Welser mitunter eine gewisse Zuneigung zu ihrer Heimatstadt zu entwickeln.

Wie sonst ist zu erklären, dass nach Franz Welser-Möst ein weiterer Kulturschaffender die Hausruckmetropole freiwillig in seinen Namen aufnimmt? Die Rede ist von dem Journalisten Günter Kaindlstorfer, der als Günter Wels sein beachtenswertes literarisches Debüt vorlegt.

Die sieben Erzählungen seines Erstlings Maitage zeigen, dass Kaindlstorfer über die Jahre gewinnbringend viele literarische Werke rezipiert hat. Den späten Seitenwechsel meistert Wels nun mit größter Leichtigkeit.

In einer präzisen und zugleich unverkrampften Sprache berichtet er von Menschen, die ebenfalls im Begriff sind, eine wichtige Linie zu übertreten. Es ist der Schritt in das Leben der Erwachsenen, den sie als Jugendliche zu bewältigen haben.

Tipp-Kick im Freibad

Doch die Adoleszenz ist nicht die einzige Gemeinsamkeit der Protagonisten. Tatsächlich macht sich ihr Wandel auch stets in einer geografischen Veränderung bemerkbar. Da ist etwa der Junge, der seine Ferien bei seinem Vater am Meer verbringt. Dort wird der Knabe, dessen erwachende Sinnlichkeit bei aller Behutsamkeit in jeder Zeile spürbar ist, auf unerwartete Weise in die körperliche Liebe eingeführt.

Astrid hingegen kämpft während eines Ausfluges zur Backhendlstation Scheich vergeblich um die Zuneigung ihrer Mutter. Schlussendlich wird sie jedoch ebenso ins verhasste Internat zurückgebracht wie Jürgen und Sani, die in einer anderen Erzählung dem Schreckensregime des Kinderheims Schwarzenthal zu entkommen versuchen.

Im Zentrum des bewegenden Epitaph auf Mike steht die zermürbende Urlaubsreise, welche die Ich-Erzählerin mit ihrem von depressiven Schüben gequälten Freund unternimmt. In der Titelgeschichte wiederum wird dem Nazispross Hartmut beim Durchstreifen seiner von Alliierten besetzten Stadt bewusst, dass ihn das Spielen mit den einst so heißgeliebten Spielzeugsoldaten nicht mehr reizt.

Bereits vor dem Krieg gerät an anderer Stelle ein Trupp Heimwehrkämpfer in einen Hinterhalt der Nationalsozialisten.

Ganz anders und doch exemplarisch wird in Summer of 76 von einer Kindheit zwischen Tipp-Kick und Freibad, Erwachen und Erlöschen einer ersten Verliebtheit erzählt. Für das Mädchen, das ihn eigentlich schon wieder langweilt, steigt der Erzähler auf das gefürchtete Zehnmeterbrett. Mit dem Schritt an die Turmkante bricht die Geschichte ab, so wie auch die anderen Erzählungen in Maitage an einer Stelle enden, an der die zumindest sicher gehoffte Welt zu kippen droht. Ein Kniff, der die Lektüre zusätzlich mit Spannung auflädt und durch den erst möglich wird, dass Wels seine Figuren und deren Realität derart mit Leben erfüllt, dass sie auch nach dem letzten Satz noch weiterleben können.  (Dorian Waller / DER STANDARD, Printausgabe, 22./23.1.2011)