Wien - "Entzug ist, wie wenn dich jemand in die Antarktis schickt zum Schneeschaufeln. Du weißt einfach nicht, wo du anfangen sollst", versucht die 27-jährige Nadja zu erklären, wie schwer es ist, einen Entzug zu machen - besonders dann, wenn man auf sich allein gestellt ist.

Um die Suchtprävention auf neue Bahnen zu lenken und das Thema Drogen zu "entmystifizieren", engagiert sich Nadja in dem Verein Getaway. Vor allem an Jugendliche und Eltern richtet sich die Arbeit von Nadja, Bea und Alexandra: Gemeinsam wollen sie ihnen einen Einblick in das Leben eines Junkies und "das Wesen der Sucht" geben. Denn darüber wissen die drei viel zu berichten - haben sie doch die Abhängigkeit selbst erlebt. "Unsere Erfahrungen sollen nicht umsonst gewesen sein", sagt Nadja. "Denn Aufklärung und richtiges Reagieren kann im Ernstfall Leben retten", beschreiben die drei ihre Motivation, für das Thema Sucht und Entzug aufmerksam zu machen.

Neben der Beratung und Hilfestellung für Süchtige bietet der Verein seit einiger Zeit auch Vorträge an Schulen an, um junge Menschen für Drogenmissbrauch und dessen Folgen zu sensibilisieren. Die Mitarbeiter erzählen dabei über ihre Erfahrungen und schildern ihre Erlebnisse, die sie während ihrer Zeit der Abhängigkeit und später beim Entzug gemacht haben. Durch die sehr lebensnahen Beschreibungen wirken die Schüler des Wiedner Gymnasiums sehr berührt: "Es ist etwas anderes, das Ganze aus einem Erfahrungsbericht zu hören, als wenn man es von einem Experten erzählt bekommt, der nur die Fakten kennt. Das Thema wurde von einer ganz anderen Seite beleuchtet. Für mich war es sehr abschreckend zu hören, wie es ist, auf Entzug zu sein", sagt Juliana (17). Auch Patrick (17) gibt sich beeindruckt: "Ich hab mir das mit dem kalten Entzug zwar schlimm vorgestellt, aber was Nadja geschildert hat, war einfach nur abschreckend - ich wünsche das niemandem."

Harter Weg zurück

Der kalte Entzug, auch totaler Entzug genannt, bezeichnet die Methode, eine Droge abrupt abzusetzen, um von der Sucht loszukommen, anstatt graduell oder mithilfe von Medikamenten zu entziehen. Die Schüler hören von der Gefahr der Medikamente, die als Entzugshilfe gedacht sind.

"An Drogenumschlagplätzen in Wien wird hauptsächlich mit Medikamenten gehandelt. Meistens mit Substitol, das als Heroin-Ersatz verwendet wird. Das wird wie jede andere Droge genommen", erinnert sich Lukas(17). Laut Nadja ist Substitol oft sogar gefährlicher, weil es Wachs enthält das man nicht aus der Substanz herausfiltern kann. Die Gefahr beginnt, wenn sich Abhängige Substitol spritzen und dadurch das Wachs ins Blut gelangt. Bei häufiger Anwendung ist das lebensgefährlich.

"Was mich auch sehr schockiert hat, war das Thema Prostitution: Also dass sich manche prostituieren, um genug Geld für weitere Drogen zu haben. Nadja, die aus einer wohlhabenden Familie stammt, hat das alles selbst durchgemacht und erzählt, dass ihr teilweise ganze Wochen aus dieser Zeit fehlen, weil sie so high war", schildert Verena (16).

Auch die Faszination von Drogen fand in der Diskussion Platz. Was finden die Jugendlichen an den Substanzen so anziehend? "Dadurch, dass wir sehr wenig Freizeit haben, staut sich das Ausleben unserer Freiheiten auf einen Abend - Freitag oder Samstag. Man möchte das möglichst exzessiv machen und genießen, was von legalen Drogen zu härteren Drogen führen kann; sie machen es einfacher, einen klaren Schnitt zwischen Alltag und Freizeit hinzukriegen." Gepaart mit einer gehörigen Portion Neugier, ist der Einstieg in den Strudel der Sucht schnell passiert.

Ein großes Anliegen von Getaway ist es, die Themen Drogen, Sucht und Entzug in unserer Gesellschaft nicht mehr als Tabus dastehen zu lassen: "Es liegt uns einfach am Herzen, dass die Leute nicht mehr wegschauen." (Alicia Prager, DER STANDARD, Printausgabe, 26.1.2011)