Lucas Niggli (2003)

Foto: Niggli

Wien - Zu Beginn werden die Ohren gespitzt. Der Raum wird auf seine Eigenschaften als akustischer Sparringpartner getestet, die Musizierenden schicken spontan Sounds und Geräusche in den Saal: Bis sich aus dem dichter werdenden Stimmenkollektiv die Posaune mit einer klar strukturierten Linie herausschält und diesen Sammelpunkt sogleich als Startrampe für die erste, klug durchdachte Soloimprovisation nützt. So pflegt Lucas Niggli, der am Mittwoch sein Quintett Big Zoom im Porgy & Bess vorstellte, Konzerte zu beginnen: im Detail völlig unkalkulierbar, stets aber den "großen Bogen" mitdenkend, formbewusst, zielgerichtet.

Ist doch Niggli, der 42-jährige Zürcher Schlagzeuger, seit gut zehn Jahren als elaborierter Strukturdenker der Improvisation bekannt, als einer, der das freie Spiel an die Leine nimmt, in durchdachte Dramaturgien einfasst, ohne ihm das Feuer, die überraschungsreiche Unmittelbarkeit zu nehmen. In "Polisation", dem neuen Programm des seit 2003 bestehenden Quintetts Big Zoom, tut Niggli dies zurückhaltender als zuletzt, zugleich weniger musikantisch, als man es vom vielseitigen Schlagzeuger kennt. Die Umbesetzung der Band dürfte dafür mitverantwortlich sein: Neben den fixen Partnern, Gitarrist Philipp Schaufelberger und dem phänomenalen Posaunisten Nils Wogram, stehen nun mit Flötistin Anne La Berge und Kontrabassist-Veteran Barry Guy zwei neue Gesichter im Aufgebot.

Auch der Titel legt eine programmatische Fährte: Ist Polisation doch auch von Edgard Varèses bahnbrechender, 1931 vollendeter Schlagzeugkomposition Ionisation inspiriert. In der Musik war dies im Porgy & Bess vor allem durch den perkussiven Grundcharakter zu spüren: Melodische Entwicklungen spielten keine Rolle, erschöpfen sich oft in spröden Riff-Bildungen; stattdessen stellte das auch in entschleunigten Passagen stets spürbare Moment energetischer Vibration und damit Nigglis rastlos brodelnde Schlagzeugarbeit selbst das eigentlich verbindende Element zwischen den drei Teilen der Suite Polisation dar - die am Ende mit tanzbarem Township-Jazz-Groove entließ. Ein beglückender Abend! (Andreas Felber / DER STANDARD, Printausgabe, 28.1.2011)