Beim Aktionstag der Anton-Thoma-Mittelschule durften Formen begriffen und Strecken befahren werden.

Foto: Der Standard/Hendrich

Die Mittelschüler standen Volksschülern Rede und Antwort.

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Mödling - Der Geruch von Kaffee steigt einem in die Nase, zahlreiche Kunstwerke und Fotocollagen hängen an den Wänden. Die ungewohnte Stille, die während der Unterrichtsstunden herrscht, wird von vereinzelten Stimmen durchbrochen. Etwas ist an diesem Tag an der Jakob-Thoma-Mittelschule in Mödling anders. Kinder schwirren, scheinbar planlos, im Schulgebäude herum. Erst auf den zweiten Blick erkennt man, dass es sich einige ortskundige Schüler zur Aufgabe gemacht haben, die Viertklässler aus den benachbarten Volksschulen durch den Aktionstag "Mathe macht Spaß" zu begleiten. Die Schüler der Jakob-Thoma-Mittelschule haben sich gut auf ihre Aufgaben vorbereitet und tragen stolz ihre Namensschilder. "Ich habe gerade einen gefunden, der sucht seine Gruppe, wo könnten die denn gerade sein?" fragt ein Schildchenträger den anderen.

"Der Aktionstag verfolgt das Ziel, Kindern das meist unbeliebte Fach Mathematik ein wenig schmackhafter zu machen", erklärt Mathematiklehrerin Elisabeth Leitner. Quer durch das im Jugendstil erbaute Gebäude sind Stationen aufgebaut. In manchen Klassen stehen riesige geometrische Formen aus Karton und kleinere aus Plastilin, welche den Kindern das Begreifen der errechneten Flächen und Volumen erleichtern sollen.

"Viele Dinge muss man erst ausprobieren, um sich ein Urteil bilden zu können", ist Lehrerin Gabriele Polreiss überzeugt und verweist auf die Klasse, in der am heutigen Tag "bewegte Mathematik" praktiziert wird. "Dabei werden die Kinder aufgefordert, die Länge einer Strecke erst zu schätzen und dann mit dem Pedalo abzufahren, um ein Gefühl für die Entfernung zu bekommen." Ab nächstem Jahr wird die Anton-Thoma-Schule zu den "Neuen Mittelschulen" gehören, dem landesweit diskutierten Schulversuch, der - wenn es nach Ministerin Claudia Schmied geht - bis 2016 jeder Hauptschule eine neue Struktur verpassen soll. Auf die Frage, welche Veränderungen ab nächstem Jahr an ihrer Schule zu erwarten seien, reagiert Polreiss gelassen: "Fächerübergreifendes Lernen, Integration und Teamfähigkeit haben schon seit etwa 15 Jahren einen sehr hohen Stellenwert an unserer Schule, daher wird sich wohl nicht allzu viel ändern." Eine der größten Neuerung werden für die Mittelschüler die zusätzlichen Lehrkräfte aus AHS, BHS oder HTL darstellen. Sechs Stunden pro Woche und pro Klasse werden Lehrer aus einer höheren Schulform den Unterricht der 10- bis 14-Jährigen mitgestalten. Dem sehen die Lehrerinnen sehr positiv entgegen: "Diese Kollegen stellen eine Schnittstelle zur Oberstufe dar und wissen besser, was an höheren Schulen gefordert wird. Wenn man längere Zeit ausschließlich in der Unterstufe unterrichtet, wird man irgendwann 'berufsblind'". Im Gegenzug meinen Leitner und Polreiss ihre Kollegen bezüglich des erzieherischen Aspekts bereichern zu können, da nur wenige Lehrende einer BHS jemals eine pädagogische Ausbildung erhalten haben.

Das Konzept des offenen und experimentellen Lernens findet bereits im gesamten Schulalltag Eingang, besonders in den Integrationsklassen. Hier sitzen Kinder, die nach dem Sonderschullehrplan unterrichtet werden, gemeinsam mit Hauptschülern in einer Bank. Dies wird durch Teamteaching und Arbeitspläne ermöglicht. Polreiss weiß diese Form des Unterrichts sehr zu schätzen. "Die Schüler dürfen sich ihr Lerntempo selbst einteilen, und die zweite Person, die für die Schwächeren da ist, hilft auch den anderen Kindern." Problematisch sei das gemeinsame Unterrichten von verschiedenen Leistungsgruppen nicht. "Die besseren Schüler profitieren auch davon, wenn sie den anderen etwas erklären können." Auch die sozialen Kompetenzen würden beim offenen Lernen enorm gefördert.

Das Einzige, was bedenklich erscheint, ist das Desinteresse der Schüler selbst an ausgeklügelten neuen Unterrichtsmethoden. "Ob wir Frontalunterricht haben oder nicht, ist uns eigentlich egal", stellen drei Schülerinnen klar. (Aurora Orso, DER STANDARD, Printausgabe, 2.2.2011)