Mathilde ter Heijne (vorne ein Puppen-Alter-Ego) bewahrt Biografien unbekannter Frauen des 19. Jahrhunderts im Medium Bild.

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Linz - Eine Arbeit zum Thema Matriarchat? Bloß nicht. Als die niederländische Künstlerin Mathilde ter Heijne sagte, sie wolle eine Arbeit zum Matriarchat machen, riet man ihr entschieden ab: viel zu abgedroschen, geradezu lächerlich sei der Begriff inzwischen. Ter Heijne (geb. 1969) entschied sich für ein "Und trotzdem" und reiste in den Südwesten Chinas, zur Minderheit der Mosuo.

"Bei den Mosuo nimmt das Haus die Position des Mannes in der patriarchalen Gesellschaft ein", erzählt die seit einigen Jahren in Berlin lebende Künstlerin. Das traditionelle Zumu-Holzhaus ist Symbol gelebter Gleichberechtigung, die beiden tragenden Stützen des Hauses wurden nur aus einem Stamm geschnitten. Privaten Besitz und das Prinzip Ehe kennen sie nicht. Man lebt freie Sexualität; die Kinder bleiben im Mehrgenerationen-Haushalt der Mutter, dessen wirtschaftlicher Vorstand diese auch ist.

Die Rekonstruktion eines solchen 200 Jahre alten Hauses ist das zentrale oder vielmehr raumbestimmende Objekt in ter Heijnes Ausstellung Any Day Now im Lentos. Ein volkskundliches Setting mit moralisch-feministischem Fingerzeig? Das begleitende Video (Constructing Matriarchy, 2007), das den Hausbau als Kooperation beider Geschlechter dokumentiert, und das Comic The Empire of Women. Not a Fairy Tale rücken die Installation tatsächlich in diese Nähe.

Es ist ein Hörspiel, das dem Setting jedoch seine erzieherische Note nimmt, sie zu einem Gedankenangebot macht und humorvolle, ironische Distanz herstellt: Further Than We've Gone (2009) montiert vier Romane der relativ unbekannten Gattung feministischer Science-Fiction. Hauptfigur ist Mathilde (ter Heijn), die als Zeitreisende von einer männerlosen Welt in die nächste stolpert.

Asexuelle Gesellschaft

Von The Shore of Women (Pamela Sargent, 1986), wo Männer nur noch wegen ihrer Spermien geduldet werden, bis ins Herland (Charlotte Perkins Gilman, 1915), einer sich asexuell fortpflanzenden Frauengesellschaft, führt ihre Reise: "Wir wachsen gemeinsam, aber nicht durch Wettbewerb." Ein vergnügliches und professionell gemachtes Hörabenteuer.

Das ter Heijnes Alter Ego in verschiedene Rollen schlüpft, konnte man bereits in vielen Arbeiten beobachten: Begonnen hat es 2000 mit dem psychologisch aufgeladenen Video Mathilde, Mathilde ..., das von filmischen Frauenfiguren mit diesem Namen, etwa aus François Truffauts Die Frau nebenan oder Noce Blanche von Jean-Claude Brisseau, inspiriert ist. Jede der "Mathildes" begeht Selbstmord, ob aus Liebe, politischen oder religiösen Motiven; ein Akt freiwilliger Selbstauslöschung gegen den die Künstlerin revoltiert. Ein Motiv, das auch die in der Schau gezeigte Videoinstallation zur literarischen Figur Gesine Cresspahls und der Frage kollektiver Schuld fortführt.

Bekannt wurde ter Heijne jedoch durch lebensgroßen Puppen, denen sie Gesicht und Stimme leiht: Im Lentos zeigt sie sieben aus der Werkgruppe F. F. A. L. (Fake Female Artist Life), die fiktive Künstlerinnen-Charaktere aus literarischen Werken, etwa Guillaume Apollinaires La femme assise (1920), darstellen. Als Verstärker funktioniert die Installation Unknown Woman, eine Installation von Fotografien unbekannter Frauen des 19. Jahrhunderts, die sie für eine Postkartenserie bereits einmal mit aufwändig recherchierten Biografien anderer Frauen der Zeit kombiniert hat. "Eine Frau hilft der anderen, um sich aus Unsichtbarkeit zu befreien."

Das inszenatorische Dunkel verleiht der tatsächlich im Untergeschoss stattfindenden Präsentation allzu sehr den Charakter von Keller. Ter Heijnes feministischen Ansätzen kommt das Angestaubte nicht gerade entgegen. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD - Printausgabe, 8. Februar 2011)