Weltweit steht die Computerspielforschung derzeit vor einem Wandel und zukunftsweisenden Herausforderungen: Es ist ein enormer Trend in Richtung "Serious Games" und "Lernen und Spiel" bemerkbar.

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Doris C. Rusch will Computergames weiterentwickeln

Foto: Donau-Uni Krems

Sie sollen dem Spielenden ernsthafte Sachverhalte vor Augen führen, etwa wie es sich anfühlt, depressiv zu sein.

Übergewicht, Aggressionen, Vereinsamung sind Schlagworte, die oftmals im Zusammenhang mit Computerspielen genannt werden. Auf der anderen Seite stehen Meldungen, dass Games Reaktionsschnelligkeit, logisches Denken und räumliches Vorstellungsvermögen positiv beeinflussen und pädagogisch durchaus nützlich sein können. Aber auch dazu beitragen können, persönliche Krisen zu überwinden.

Nur wie? Diese Frage rückt auch ins Zentrum wissenschaftlicher Untersuchungen. Dabei werden das gemeinsame Spielen im virtuellen Raum, der Umgang mit Depressionen, das Scheitern oder auch Einsamkeit und Sucht selbst zum Inhalt des Computerspiels. Stand zu Beginn die Frage der Narrativität von Spielen im Vordergrund – also erzählen Spiele Geschichten -, werden aktuell ästhetische, kommerzielle, kulturelle, soziologische und psychologische Faktoren wissenschaftlich betrachtet.

Auch in Österreich hat sich die universitäre Computerspielforschung etabliert. Doris C. Rusch beispielsweise, Leiterin des Fachbereichs "Applied Game Studies" an der Donau-Uni Krems, hat während ihrer Post-Doc-Ausbildung am Singapore-MIT Gambit Game Lab untersucht, wie man Spiele als Ausdrucks- und konzeptuelle Medien weiterentwickeln kann. Wie kann man mit Spielen tiefgreifende Botschaften erlebbar machen? Wie generieren Spiele Bedeutung, und wie kann man sie für sozialen und persönlichen Wandel einsetzen?

Dabei sind Akrasia (ein Spiel über Sucht), The Bridge (ein Spiel über possessive Liebe und Verlustangst) und Elude (ein Spiel über Depression) entstanden. "Ich beschäftige mich mit den Potenzialen von Spielen für persönliche und soziale Anliegen und damit, wie Spiele Erfahrungen modellieren können, die unser Verständnis der Conditio humana befördern. Ich wehre mich gegen die Vorstellung, dass Spiele nur zur Unterhaltung da sind und keine ernsten Themen angehen können" , sagt Rusch.

Das Spiel über Depression entstand aus einer Diskussion mit Psychotherapeut Atilla Ceranoglu. "Wir haben uns überlegt, was denn ein soziales Anliegen wäre, das wir angehen könnten und wie ein Spiel einen Mehrwert haben könnte gegenüber herkömmlichen Medien" , schildert sie. "Wir kamen dann auf die Problematik rund um Depression, dass Verwandte und Freunde von Personen, die unter dieser Krankheit leiden, oft nicht verstehen können, was mit ihren Lieben los ist und daher selbst mit Wut und Frustration zu kämpfen haben."

Spielbare Depression

Das Spiel sollte Bewusstsein für Depression als ernstzunehmende Krankheit bilden und gegen die Vorstellung vorgehen, dass Depression eine Charakterschwäche sei, erzählt Rusch weiter: "Spielern soll vermittelt werden, wie es sich anfühlt, wenn die eigene Stimmung zum Konflikt wird, gegen den man ankämpfen muss, und klarmachen, dass es keine Frage der Entscheidung oder willentlicher Anstrengung ist, ob einen ein Stimmungsloch erwischt oder nicht."

Aus Sicht von Konstantin Mitgutsch, ein österreichischer Wissenschafter, der derzeit am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston forscht und mit Herbert Rosenstingl das Buch Schauplatz Computerspiel veröffentlicht hat, lassen sich mehrere Schwerpunkte in der Computerspielforschung ausmachen: etwa das Zusammenwachsen zwischen Gamedesign und Spieltheorie; "Games beyond fun" ; die Erforschung des/der Spielenden; Social Games und die Verflechtung aus virtuell und real. "Immer mehr Forscher designen Spiele direkt zu ihren Forschungsthemen" , erläutert Mitgutsch. "Die Forschung kann sich im Gegensatz zur Industrie leisten, Spiele zu entwickeln, die nicht nur Spaß machen, sondern auch ernste Themen behandeln."

Enttäuschung als Spielziel

Am MIT hat Mitgutsch versucht, das Scheitern selbst zum Spiel zu machen. "Wir haben ein Spiel entwickelt, in dem die Spielenden erst im Scheitern zum Spiel finden. Während wir im Alltag eher versuchen, dem Irrtum auszuweichen und der Enttäuschung zu entgehen, haben wir im Spiel Spaß am Scheitern" , sagt er. "Sind wir im Spiel bereit, unsere Erwartungen aufzugeben? Auch wenn uns diese Erwartungen in Spielen zur Gewohnheit geworden sind? Wir wollten durch ein Spiel diese Fragen beantworten. In Afterland – so der Name des Spiels – sind die Erwartungen das Hindernis und die Enttäuschungen das Ziel. Eine schwierige Aufgabe, wie sich herausstellt" , erläutert Mitgutsch.

Weltweit steht die Computerspielforschung derzeit vor einem Wandel und wichtigen zukunftsweisenden Herausforderungen: Zum einen ist ein enormer Trend in Richtung "Serious Games" und "Lernen und Spiel" bemerkbar. Diesen Feldern wird großes Potenzial für pädagogische Settings nachgesagt. In den nächsten Jahren könnten Computerspiele Eingang in die Schulen finden – wodurch sich auch der Unterricht verändern wird.

Ein zweiter Fokus liegt auf dem Körper als Spielapparat. Durch die Entwicklung neuer bewegungsorientierter Steuerformen – siehe Nintendos Wii, Microsofts X-Box Kinect oder Sonys Playstation Move – kommt mehr Schwung ins Spiel, neue Zielgruppen werden erschlossen.

Ein dritter Trend liegt daher auch an der Miteinbeziehung der Nichtspielenden.

60 Prozent der Bevölkerung spielen bereits digital – bald sollen es 99 Prozent sein: Für alle Altersgruppen und je nach Vermögen und Können sollen neue Spiele und Spielkonsolen entstehen. (Gregor Kucera/DER STANDARD, Printausgabe, 09.02.2011)