Zeger: "Wir kommen vom Überwachungsstaat, den wir heute schon haben, zum Präventivstaat."

Foto: Georg Lembergh

Die EU-Richtlinie über die Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten stand auf dem Programm des Ministerrats am Dienstag, wurde am Montagabend aber kurzfristig doch von der Tagesordnung genommen. Weil sie seit 2006 nicht umgesetzt wurde, droht Österreich eine Strafzahlung. Infrastrukturministerin Bures strebt eine Minimal-Umsetzung der Richtlinie an, Justizministerin Bandion-Ortner und Innenministerin Fekter möchten die Befugnisse zur Speicherung von Verbindungsdaten noch über das EU-Mindestmaß ausweiten. derStandard.at sprach darüber mit dem Obmann der ARGE Daten, Hans Zeger.

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derStandard.at: EU-Justizkommissarin Viviane Reding warnte heute vor einer "pauschalen Datensammelwut" und versprach eine Überarbeitung der Richtlinie mit "stärkerem Datenschutz für Private". Wird das die Entscheidung des Ministerrats beeinflussen?

Zeger: Es wäre vernünftig, wenn es sie beeinflussen würde. Der europäische Zug hier ist in Bewegung und nur weil Österreich eine potenzielle Strafzahlung erwartet, macht es keinen Sinn, jetzt eine Lösung zu verabschieden, die in ein paar Monaten überholt ist. Wir haben auch schon vor Monaten gefordert, das EuGH-Urteil im Zusammenhang mit dem irischen Verfahren abzuwarten.

derStandard.at: Es gab schon in mehreren Mitgliedsstaaten negative Höchstgerichtsurteile zur EU-Richtlinie. Warum hat sich Österreich bisher nicht entgegengestellt?

Zeger: Die Österreicher haben das gemacht, was sie immer am besten tun: Sie haben sich tot gestellt. Wobei die Strategie, die in den letzten zwei Jahren gefahren wurde, für österreichische Verhältnisse geradezu mutig war: Eine EU-Richtlinie, die Überwachung anordnet, nicht überzuerfüllen, sondern sie noch nicht zu erfüllen.

derStandard.at: Welche konkreten Gefahren sehen Sie in der Speicherung der Verbindungsdaten?

Zeger: Wenn man anfängt, Daten systematisch nach verdächtigen Mustern zu durchforsten, wird man viele verdächtigte Muster, aber wenige konkrete Tatverdächtige finden. Die Gefahr ist, dass wir uns als Bürger immer öfter für unsere Taten rechtfertigen müssen, aber nicht weil sie illegal sind, sondern bloß weil sie einem verdächtigen Muster entsprechen. Das widerspricht unserer Verfassung. Die Verfassung sagt, ich darf unbeobachtet leben und erst, wenn ich mich konkret verdächtig mache, muss ich Rede und Antwort stehen. Als Instrument, um Strukturen und Netzwerke zu identifizieren, ohne auf einen Anfangsverdacht angewiesen zu sein, kann die Vorratsdatenspeicherung hervorragend ausgenutzt werden. Terroristische Täter wird man damit aber keine finden.

derStandard.at: Bis heute ist noch nicht klar, wie weit und wann die Justiz Zugriff auf die gespeicherten Daten haben soll. Wie problematisch ist das?

Zeger: Das ist ein Grundproblem der gesamten Richtlinie. Es wurde bisher nicht definiert, ab welchem Zeitpunkt ein aktiver Zugriff erlaubt sein soll. Zusätzlich wurde in Österreich noch nicht festgelegt, unter welchen Bedingungen in diesen Daten überhaupt herumgestochert werden darf und was ein "schweres" Verbrechen ist, das die Maßnahme rechtfertigt. Fast zwangsläufig besteht auch das Problem, dass, sobald die Daten da sind, sie auch missbräuchlich für Dinge verwendet werden, für die sie ursprünglich nicht gedacht waren.

derStandard.at: Als Motiv für die Vorratsdatenspeicherung gilt der Kampf gegen den Terror. Gibt es noch andere Beweggründe?

Zeger: Die Politik versucht, über Angst und geschürte Unsicherheit, Handlungsfähigkeit zu zeigen. Wird ein neuer Überwachungsdienst eingeführt, der sogar präventiv wirkt, so signalisiert eine Politik, die immer mehr in Frage gestellt wird: Wir tun was, wir sind handlungsbereit – auch oder gerade weil die wichtigen volkswirtschaftlichen Entscheidungen heute nicht mehr von der Politik getroffen werden, sondern von großen Unternehmen. Von der Gestalterfunktion wurden die Regierungen in eine Beobachterposition gedrängt. Der Wunsch, wieder ernst genommen zu werden, dürfte die stärkste Triebfeder der Politik sein.

derStandard.at: Erwarten Sie einen Aufschrei in der Bevölkerung, wenn die Richtlinie umgesetzt wird?

Zeger: Den Aufschrei der Zivilgesellschaft gibt es schon seit Jahren, er wird halt sehr wenig gehört. Die Bevölkerung insgesamt ist aber sehr autoritätsgläubig, deshalb wird es keinen breiten Aufschrei geben. Viele werden sich einfach arrangieren.

derStandard.at: Wenn in diesem ersten Schritt die Verbindungsdaten gespeichert werden, werden dann im nächsten logischen Schritt auch die vollständigen Inhaltsdaten gespeichert?

Zeger: Nein, das glaube ich nicht. Die Inhaltsdaten sind oft wertlos und nichtssagend. Interessant ist: Wer hat mit wem zu tun gehabt? Dasselbe gilt für Bankdaten, Verkehrsdaten – Wer fährt wann zu wem? Wer hält sich wo auf? Diese Dinge können automatisiert ausgewertet und nur schwer verborgen werden. Wenn zwei Verdächtige miteinander reden, können sie durch Codes Außenstehende verwirren. Dass sie miteinander geredet haben, können sie nur schwer tarnen.

derStandard.at: Gibt es einen Point of no Return, von dem aus man den Weg hin zum Überwachungsstaat nicht mehr umkehren kann? Wenn ja, haben wir ihn mit der Vorratsdatenspeicherung schon erreicht?

Zeger: Es gibt immer ein Zurück. Die Vorratsdatenspeicherung ist aber deswegen so kritisch, weil dabei – anders als bei früheren Maßnahmen und wie der Name sagt – Daten vorrätig aufgezeichnet werden. Der große Lauschangriff hat immer noch einen Tatverdächtigen vorausgesetzt. Bei Vorratsdatenspeicherung, Bewegungsprofilen etc. hingegen ist es egal, wie gesetzeskonform man sich verhält. Die Politik geht so vor: Es wird jetzt aufgezeichnet und erst später nachgeschaut, ob sich alle so verhalten haben, wie man es von ihnen erwartet. Das ist der große Bruch.

derStandard.at: Das heißt, die Bürger leben in ständiger Verdächtigung …

Zeger: Ja. Wir kommen vom Überwachungsstaat, den wir heute schon haben, zum Präventivstaat. Heute gilt noch die Unschuldsvermutung, wenn auch nur mehr als Floskel, später gilt der Schuldverdacht. Dann muss der Bürger beweisen, dass etwa ein gewisses Telefonat harmlos war. Wer mit jemandem telefoniert, der möglicherweise in einem Drogennetzwerk tätig ist, muss erst beweisen, dass er nichts mit dem Verbrechen zu tun hat. Das geht natürlich nicht. Damit steuern wir einem Paranoiastaat entgegen. (Michael Matzenberger, derStandard.at, 14.2.2011)

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